Die Rückseite der 20 Schekel Banknote wird von einer Aufnahme geziert, die Rekruten der jüdischen Brigade auf dem Weg zu einer Rede von Chaim Weizmann zeigen. Einer von ihnen ist der 1925 in Berlin geborene Ze’ev Hirschberg.
Unter dem Eindruck der Reichspogromnacht wurde Ze’ev 1938 von seinen Eltern auf ein Auswandererlehrgut bei Schniebinchen (heute Polen) geschickt. Im April 1940 gelangte er so an ein Einreisezertifikat der Jugendaliya für Palästina. Ze’ev entkam den Deutschen in das Hadassa Kinderdorf Meir Shafia bei Zikhron Ya’akov.
In Meir Shafira schloss er sich der Hagana an, der jüdischen Untergrundarmee in Palästina. Vom Kinderdorf ging es fuer Ze’ev in den Kibbutz Geva in der Yizrael Ebene, wo er sich mit anderen Jugendlichen zu einer Vorbereitungsgruppe für die Bildung eines neuen Kibbuz zusammenschloss. Im Kibbuz Neve Eintan erhielt die Vorbereitungsgruppe ihre abschließende Schulung. Als die Briten 1944 die Jüdische Brigade gründeten, bestimmte die Jewish Agency, dass jede Vorbereitungsgruppe einen Mann für die Brigade abzustellen hatte. Es wurde gelost und das Los fiel auf Ze’ev. Am 7. Dezember 1944 zog er mit anderen Rekruten zur Rede von Chaim Weizmann, wo das Bild entstand, das heute die 20 Schekel Note ziert.
In seiner Wohnung im Elternheim Pinkhas Rozen in Ramat Gan, wo der 90jaehrige seinen Lebensabend verbringt, bewahrt er einen Abzug der Originalaufnahme gewissenhaft neben anderen Zeugnissen auf. Im Elternheim, das zur Vereinigung der Israelis mitteleuropäischer Herkunft gehört, leben Menschen, die wie Ze’ev Hirschberg den Deutschen rechtzeitig entkamen. Außerdem Holocaustüberlebende wie Sarah Fuss.
Sarah Fuss aus Lodz litt mehrere Jahre im Ghetto Litzmannstadt, wo sie als Schwester des Krankenbaus zu den Juden gehörte, die mit der endgültigen Liquidierung des Ghettos im August 1944 nach Birkenau deportiert wurden. Sie erinnert sich, wie sie ihrer letzten Habe beraubt und kahl geschoren wurde und nach einer Desinfektion in der gestreiften Häftlingskleidung auf ihre Verlegung in die Baracken gewartet habe. Das Eintreffen eines Briefes mit dem Gesuch 500 Zwangsarbeiterinnen für die Rüstungsproduktion bei Dresden zu stellen, rettete sie vor dem Vernichtungslager. Sie arbeitete in einem alten Fabrikgebäude mit großen Fenstern durch die sie eines Tages sah, wie sich der Himmel schwarz färbte. Der Himmel sei nicht mehr zu erkennen gewesen, versichert sie und fügt an, dass sie sich gewundert habe, dass sich die Bomber nicht gegenseitig behinderten. Von Dresden wurden die Zwangsarbeiterinnen ins KZ Mauthausen getrieben, das kurz danach befreit wurde. Sie sah völlig ausgemergelte Insassen des KZ, die sich nach der Befreiung auf Essen stürzten, das ihr Körper in der Menge nicht mehr verdauen konnte und sie umbrachte.
Wie Sarah Fuss fiel auch der inzwischen verstorbene Heimbewohner Ephraim Perlmann den Deutschen in die Hände.
Ephraim Perlmann musste im Ghetto Warschau mitansehen, wie sein Vater abgeholt wurde. Als die Deportationen 1943 wieder aufgenommen wurden, begannen die Vorbereitungen für den Aufstand, der zu Ostern ausbrechen sollte. Bunker wurden angelegt und Dachböden verbunden. Einer der Aufständischen sagte zu Ephraim, dass sie den Transporten ein Ende setzen würden. Kein Jude aus dem Ghetto würde mehr nach Treblinka gebracht. Ab jetzt, sagte er zu Ephraim, würden sie alle im Ghetto sterben. Nach seinem Vater verlor Ephraim Perlmann auch seine Mutter, seine Schwester und seinen Bruder im Holocaust und ging selbst durch die Hölle der Zwangsarbeit.
Nach seiner Befreiung gelangte Ephraim Perlmann in den Wirren der letzten Kriegstage nach Polen, wo er alles jüdische Leben ausgelöscht fand. In der Wohnung der Familie lebten Polen, was ihn zu einem Obdachlosen machte. Von Aktivisten des American Jewish Joint Distribution Committee (Joint) in Warschau erhielt Ephraim einen gefälschten griechischen Pass, und ist mit einer Gruppe “griechischer” Flüchtlinge in die Tschechoslowakei gereist. Polnische Grenzer hätten ihnen an der polnisch-tschechoslowakischen Grenze ihre Verpflegung genommen, erinnert er sich. Ephraim gelangte über Prag nach Asch an der Tschechoslowakisch-Deutschen Grenze und von dort nach Bayern ins DP Camp in Landsberg. Wegen Überbelegung kam er in das DP Camp Jordanbad in Biberach, wo der Shomer HaTzair einen Kibbuz betrieb und Flüchtlinge nach Südfrankreich schleuste. Eine Zeit lang wurde er vom HaShomer HaTzair als Schlepper in Asch eingesetzt, wo er Gruppen von Flüchtlingen, die sich mit einer “Parole” auswiesen, ortskundig über die Grenze begleitete.
Der Grenzübergang gehörte zu einem sorgsam aufgebauten Netz von Fluchtrouten, auf denen Juden aus Osteuropa bis nach Palästina geschleust wurden.
Das weitgespannte Fluchthilfe Netzwerk wurde von der “Bricha” getragen. Die Bricha (hebräisch für „Flucht“) wurde 1944 von Abba Kovner und anderen zionistischen Partisanen gegründet. Im Januar 1945 schlossen sich die Überlebenden des Aufstands im Warschauer Ghetto an.
Getragen wurde die Bricha von den zionistischen Jugendbewegungen, v.a. der sozialistisch-zionistischen Jugendbewegung HaShomer HaTzair. Diese legten entlang der Fluchtrouten Stützpunkte in Form von Kibbuzen an. Die Bricha bildete Flüchtlingsgruppen, versorgte diese mit falschen Papieren und führte sie entlang der Stützpunkte. Kam eine Gruppe in einem Lager an, ging es für eine andere Gruppe weiter. Die Fluchthelfer mussten gute Organisatoren, Begleitpersonen und Fahrer sein. Sie mussten Grenzer bestechen und Grenzüberquerungen arrangieren.
Im Sommer 1945 schickte die Hagana Emissäre, um die Fluchtanstrengungen zu koordinieren.
Bei der Fluchthilfe arbeitete die Bricha Hand in Hand mit dem „American Joint Distribution Commitee“ und dem „Mossad LeAliya Bet“.
Der Joint, eine Hilfsorganisation US-amerikanischer Juden, stellte die meisten Mittel für Transport, Bestechung, Kleidung und Medikamente. Der AJDC schaute zur Seite, wenn Fahrzeuge und Uniformen entwendet und Ausweise gefälscht wurden.
Maßgeblich unterstützt wurde die Fluchthilfe von den Soldaten der Jüdischen Brigade der Britischen Armee.
Sarah Fuss erinnert sich, wie Soldaten der Jüdischen Brigade kurz nach der Befreiung des KZ Mauthausen mit ein paar Lastwagen des Britischen Militärs im DP Camp Mauthausen auftauchten. „Soldaten von uns“, wie sie sich lebhaft erinnert, „Kämpfer mit einem Davidstern“. Manche dieser jüdischen Kämpfer erzählten auf Jiddisch von Palästina und nahmen die Ausreisewilligen mit. Sarah Fuss wird nie vergessen, wie sie von einer Freundin ungläubig gefragt wurde, warum sie nach den Jahren im Ghetto ausgerechnet nach Eretz Israel ausreisen wolle, dieses „jüdische Ghetto in Palästina“. Doch Sarah Fuss sah es genau anders und zögerte keinen Augenblick den „jüdischen Friedhof“ Europa zu verlassen um zum Leben in der „jüdischen Heimstätte“ zu gelangen. Die Soldaten der Brigade brachten sie in ihren Militärfahrzeugen nach Verona. Dort blieben die Flüchtlinge einige Tage in einem Kibbuz um dann dann nach Santa Maria di Leuca zu gelangen, wo sie gezielt auf die Auswanderung nach Palästina vorbereitet wurden.
In den Wirren der unmittelbaren Nachkriegszeit konnten jüdische Flüchtlinge noch relativ problemlos durch Österreich über den Brenner und andere Grenzübergänge nach Italien gelangen. Dann begannen die Briten die Fluchtbewegungen nach Kräften zu ersticken. Das Katz-und-Maus-Spiel zwischen Königreich und Bricha verschärfte sich.
Einer der Fluchtwege aus Osteuropa Richtung Italien führte im Sommer 1945 von Budapest und Bratislava über Graz. Als im Juli 1945 die Briten die Besatzung der Steiermark von sowjetischen Truppen übernahmen, waren ca. 12.000 Juden, die sich im Raum Graz befanden vermeintlich festgesetzt. Allerdings gelang es Soldaten der Jüdischen Brigade die meisten der Flüchtlinge illegal über die österreichisch-italienische Grenze nach Pontebbe zu bringen, wo sich ein eigens dafür aufgebautes Transitlager befand. Die Soldaten im Dienst der britischen Armee entwendeten Uniformen, in die sie die Flüchtlinge steckten und Militärfahrzeuge für deren Transport über die Grenzen Innichen und Tarvis. Als die Briten davon Wind bekamen wurde die Brigade nach Holland und Belgien verlegt und die Fluchtrouten durch das Pustertal und durch Tarvis versiegelt.
Ze’ev, der nach seiner Rekrutierung für die Jüdische Brigade ein militärisches Training in Ägypten absolvierte, gelangte über Alexandria und Marseille direkt nach Eindhoven. Er erinnert sich an die Bewachung verschiedener Militäreinrichtungen und Gefangenenlager in Holland und Belgien. Und daran, wie die Soldaten der Jüdischen Brigade während ihres Militärdiensts Waffen einsammelten und diese in Fahrzeugen der Britischen Armee in die Hände der Hagana schmuggelten. Als einer dieser illegalen Waffentransporte aufflog wurden die Gewehre in der Polizeistation von Toulouse abgeladen. Neben dem Militärdienst und dem Waffenklau engagierte sich die Jüdische Brigade für die jüdischen Flüchtlinge in den DP Camps. So verteilten sie einen Teil ihrer Lebensmittelrationen in den Lagern. Bei den Fahrten lernte Ze’ev Lastwagen zu lenken.
Bevor die Jüdische Brigade im Sommer 1946 in Gent aufgelöst wurde, suchten Emissäre der Hagana unter den Soldaten nach Freiwilligen für die Bricha. Ze’ev war einer von 120, die sich rekrutieren ließen. An Stelle der 120 Soldaten wurden Holocaustüberlebende, die ihnen relativ ähnlich sahen, “zurück” nach Palästina geschickt. In den Ausweispapieren waren Personenbeschreibungen, aber keine Bilder.
Ze’ev Hirschberg gelangte in ein ehemaliges Militärlager Mussolinis nach Bergamo, wo die Bricha ein Seminar unterhielt und die Fluchthelfer eingewiesen wurden. Ze’ev wurde nach Meran abkommandiert. Dort waren die Fluchthelfer als Mitarbeiter des Joint getarnt – mit Uniformen, gefälschten Arbeitspapieren und gefälschten Transitgenehmigungen. Ze’ev sagt, dass er die Unterschrift des für die Transitgenehmigungen zuständigen Amerikaners am besten nachzuahmen wusste.
Ze’ev war für die Bricha als Fahrer tätig. Die Bricha in Meran verfügte für ihre Operationen über Dodge Lastwagen aus Beständen des amerikanischen Militärs und GMC 6 Wheeler, die vom Britischen Militär geklaut und zu Fahrzeugen des Joint umlackiert wurden. So lenkte Ze’ev Lastwagen, deren Steuer rechts und solche, deren Steuer links war.
Die Bricha Meran war damit beauftragt, Flüchtlinge, die über die österreichisch-italienische Grenze geschleust wurden, in Empfang zu nehmen und nach Inneritalien weiterzuleiten. Viele Flüchtlinge.
Eine Fluchtwelle ungeahnter Wucht wurde am 4. Juli 1946 durch den Pogrom in der polnischen Stadt Kielce ausgelöst, wo 42 Juden ums Leben kamen. Die Bricha und der Joint schafften es den Strom von 100.000 panisch flüchtenden polnischen Juden zu koordinieren. In den Wochen nach dem Pogrom von Kielce drängte der JDC die tschechoslowakische Regierung die Grenzen nach Polen nicht zu versiegeln und entlastete die tschechischen Behörden bei der Versorgung der Flüchtlinge. „AJDC“, sagt Ze’ev, sich an einen Witz unter den Fluchthelfern erinnernd: „Alle Jidden Darfen Commen“
Der Hauptzweig des Flüchtlingsstroms verlief über die Tschechoslowakei und Ungarn nach Österreich, und über die sowjetische in die amerikanische Besatzungszone. 63.000 Juden reisten zwischen Mai 1946 und Januar 1947 durch den Fluchtknotenpunkt Salzburg. Von Salzburg führte der Weg Richtung Mittelmeer weiter über Deutschland oder das französisch besetzte Tirol. Die Exodus Route über Tirol führte zunächst nach Saalfelden nahe der amerikanisch-französischen Zonengrenze. In Saalfelden bestand seit Sommer 1946 der Kibbuz Givat Avoda von wo es die DP Lager “Wiesenhof” und “Gnadenwalderhof“ in Gnadenwald bei Innsbruck zu erreichen galt.
Viktor Knopf (Bricha)beschreibt in einem Zeitzeugenbericht den schwierigen Transfer der Flüchtlinge per Zug in die französische Besatzungszone: „Ich bin im Paketwagen eingestiegen, habe mir die Uniform des Schaffners angezogen und, nachdem ich ja der deutschen Sprache mächtig war, habe ich ihm als Gegenleistung für eine Packung Zigaretten und eine Dose Fleischhaschee vorgeschlagen, sich schlafen zu legen. Wir haben dann im Paketwagen alle Pakete vorgeschoben, haben dahinter eine Trennwand montiert und hinter dieser dann 30, 40 oder 50 Leute versteckt. Dann wurden die Pakete wieder vor der Trennwand aufgestapelt, und so sind wir nach Hochfilzen gekommen, zum Grenzübergang in die französische Zone. Die französischen Grenzkontrollen haben den ganzen Zug streng kontrolliert und nach Juden gesucht. Ich bin in Uniform beim Fenster oder bei der Tür gestanden, und wenn einer fragte: „Sind da Juden?“ sagte ich „Nein.““
Von Solbad Hall in Tirol wurden die Flüchtlinge von der Bricha mit Lastwagen nach Gnadenwald gebracht. Von dort ging es für die Flüchtlinge über Landeck an den Reschenpass, wo sie einige Kilometer vor der Grenze den Schleppern der Bricha übergeben wurden, die sie illegal über die österreichisch-italienische Grenze führten. Wobei Ze’ev das Wort Schlepper wegen der negativen Konnotation überhaupt nicht gerne hört. Sie seien Wegweiser und Aufpasser der Flüchtlinge gewesen, erklärt er, und diejenigen, die sich am meisten hätten plagen müssen. Er zeigt ein ihm gewidmetes Bild, dass eine Gruppe stattlicher Wegweiser zeigt. Begleiter, die jede Nacht jedem Wetter trotzen mussten und die Verantwortung dafür trugen jeden Flüchtling heil über die Grenze zu bringen. Robuste „Bergkriecher“, die freiwillig und aus purem Idealismus handelten. Von den „Bergkriechern“ hätten er und seine Kameraden vom Stützpunkt Merano die Flüchtlinge zwischen 22 und 23 Uhr in Empfang genommen.
Die Flüchtlinge, so erzählt Ze’ev, hätten nichts mitnehmen dürfen außer einem Handbündel und den Kleidern, die sie am Leib trugen. Für Gespräche sei ihnen keine Zeit geblieben. Das sei erst später gekommen, wenn hier und da einer der Flüchtlinge blieb, um die Bricha zu unterstützen.
Ze’ev und seine Kameraden fuhren die Menschen landeinwärts und verteilten sie auf mehrere Bahnhöfe in Oberitalien. Die Tarnung für die Flüchtlinge war, aus Inneritalien nach Meran gekommen zu sein, um Urlaub zu machen.
Nach etwas Schlaf hatten Ze’ev und seine Kameraden ihre Fahrzeuge zu warten. Werkstätten gab es keine und es sei alles eine einzige große Improvisation in einem kriegszerstörten Land gewesen.
Die vielen Gruppen, die illegal die Grenze auf dem Reschenpass überquerten blieben den italienischen Behörden natürlich nicht lange verborgen. Er selbst habe nie mit eigenen Augen gesehen, wie die Carabinieri geschmiert worden seien, sagt Ze’ev. Aber sie hätten sich bald schon sehr kooperativ gezeigt, bis hin zur Wegglättung mit Skiern. Zionisten seien sie auf jeden Fall keine gewesen, versichert Ze’ev. Und erinnert sich an Marko, einen italienischen Juden und „Macher im positivsten Sinne“, der Schwierigkeiten mit den italienischen Ordnungshütern stets zu entschärfen wusste.
Ze’ev erinnert sich vor allem an die Alpen bei Nacht, an die Kälte und das Anlegen von Schneeketten bei eisigen Minusgraden. An die Fahrkünste die ihm abverlangt waren und an das Nachkriegschaos in dem sie agierten. An den Partisanencharakter ihrer Unternehmungen, die ihm 70 Jahre später fast unwirklich erscheinen. Wie das alles funktioniert hätte, würde ihn noch heute wundern, sagt er.
Hin und wieder verwandelten sich Ze’ev und seinen Kameraden von Joint zu British Army, wofür dann die Lastwagen wiederum passend umlackiert wurden und entwendete britische Uniformen zum Einsatz kamen.
Ein Einsatz führte Ze’ev und seine Kameraden über die Alpen nach Toulouse, wo sie die gelagerten Gewehre holen sollten. In Turin lackierten sie ihre Lastwagen als Fahrzeuge der britischen Armee. Kurz vor Toulouse schlugen sie ein camp auf und diejenigen “die nicht jüdisch aussahen”, wie Ze’ev erzählt, seien zur Polizei gegangen und hatten die Waffen mitgenommen. Von Toulouse fuhren sie nach Genua, wo sie die Gewehre abgeben sollten. In Genua – inzwischen wieder Joint – hatten sie die Waffen abgeladen und sich gerade schlafen gelegt, als die Warnung vor einer italienischen Razzia eintraf. Schnell wurden die Gewehre wieder aufgeladen und nach Magenta gebracht, wo sich das “Aliya Beth” Hauptlager befand, eine Art “Klein-Israel”, wo der “Mossad LeAliya Beth” Treibstoff und Proviant für die Flüchtlingsschiffe lagerte.
Einmal, so erzählt Ze’ev mit Berliner Schnauze seien sie nach JWD abkommandiert worden – „janz weit draußen“. Bei Bari sollten sie mit ihren Lastwagen Juden aus DP Camps zu einem Flüchtlingsschiff bringen. Auf dem Rückweg lackierten sie einen Lastwagen als Fahrzeug der britischen Armee. Ze’ev und ein Kamerad fuhren mit 16 großen Fässern auf der Ladefläche in eine amerikanische Militärtankstelle bei Foggia. Von der Präsenz britischen Militärs in der Gegend nichts wissend, telefonierte der amerikanische Diensthabende das Britische Hauptquartier an, um näheres zu erfahren. Bis Ze’ev und sein Gefährte fertig getankt hatten kam keine Leitung zu Stande. Sie konnten die Tankstelle verlassen und entgegen ihrer Befürchtung wurden sie nicht verfolgt bis es ihnen gelang den Lastwagen wieder zum Fahrzeug des Joint zu machen.
Ende 1946 ging die französische Besatzungsmacht schärfer gegen die jüdischen Flüchtlinge vor. 1947 setzte ein jüdischer Massenexodus aus Rumänien ein.
Die Bricha suchte und fand unter Umgehung der Französischen Zone eine neue Route nach Italien – auf über 2600 Meter über den Krimmler Tauern.
Marko Feingold, der seit 1945 bei der Betreuung jüdischer Flüchtlinge in Salzburg mitgewirkt hatte, fand das hochalpine Schlupfloch in den Ostalpen, wo die amerikanische Besatzungszone Österreichs an Italien grenzte.
Die Überquerung der Grenze in den Krimmler Tauern war eine kräftezehrende Herausforderung für Menschen, die das erste Mal im Hochgebirge und in keiner Weise passend ausgerüstet waren. Der Weg wurde in drei Etappen in 24 Stunden bewältigt, wobei die meiste Zeit in der Nacht gelaufen wurde. Ca. 8000 jüdische Flüchtlinge wurden über die Krimmler Tauern nach Italien gebracht.
Nach Schätzungen gelang es der Bricha zwischen 1945 und 1949 bis zu 250.000 Menschen zu transferieren. Rund die Hälfte dieses illegalen Flüchtlingsstromes, 120.000 bis 125.000 Menschen, ging über Salzburg. Davon wiederum gelangten 50.000 über verschiedenste Wege weiter nach Italien.
Am 29. Juli 1946 bestieg Ephraim Perlmann nahe Marseille das Flüchtlingsschiff “Yagur” des „Mossad LeAlija Bet“.
Am 2. August 1946 bestieg Sarah Fuss in Bocca Di Magra das Flüchtlingsschiff “Kaf Gimmel” des „Mossad LeAlija Bet“.
Beide Schiffe wurden von britischen Zerstörern abgefangen und die Flüchtlinge nach Zypern deportiert, wo sie mehrere Monate interniert wurden, bevor sie endlich nach Palästina gelangen konnten.
1947 gelangte Ze’ev mit falschen Papieren und der sogenannten Aliya Dalet nach Palästina.
Soweit der Text, wie er in der Jüdischen Rundschau Mai/2016 veröffentlicht wurde und 2017 im Magazin von 70 years „The Aftermath of the Allied Victory over Germany“ auf den Seiten 23-27.
Ende 1945 stieg der illegalen Einwanderung nach Israel. Aus den DP-Lagern gelangten immer mehr Menschen zu den illegalen Flüchtlingsschiffen, die eins nach dem anderen in Palästina ankamen. Das britische Kolonialamt, eine Hochburg des Antisemitismus und Antizionismus in England, tat alles, um die Landung der Schiffe an der Küste Palästinas zu beenden. So wurde ab November 1945 eine Seeblockade über Palästina verhängt und von der britischen Marine durchgesetzt.
Folgend (exklusiv) die Geschichte von Zvi, der in Palästina für die Fluchthilfe aktiv wurde:
In der Nacht des 23. November 1945 sprengten Einheiten des Palmach mehrere Radarstationen entlang der Küste. Einige von ihnen wurden schwer beschädigt, andre überhaupt nicht beschädigt, und einige erlitten leichte Schäden. Außerdem wurden Polizeistation Givat Olga an der Küste sabotiert. Die Basis der Operation des Palmach war der Kibbuz Givat Haim, der zwei Tage später von britischen Truppen belagert wurde. Die Briten kündigten an, in den Kibbuz eindringen zu wollen, um die Verantwortlichen für die Aktion gegen die Polizeistation zu identifizieren. Die Hagana rief derweil zu einem friedlichen Protestmarsch vom benachbarten Kibbuz Ein HaHoresch auf. Tausende Freiwillige sollten die Belagerung sprengen und die Verhaftung der Drahtzieher der Operation des Palmach verhindern. Und Tausende kamen. Unter ihnen Zvi Handelsmann, der 1944 aus Rumänien nach Palästina gelangte. Es sei ihnen darum gegangen ein Zeichen zu setzen sagte Zvi. Ein Zeichen gegen die britische Weißbuchpolitik. Während der Nacht und bis in den Morgen hinein wurde noch mit den Briten verhandelt. Zunächst habe es so ausgesehen, als wuerde es zu einer gewaltfreien Lösung kommen, erinnert sich Zvi. Doch in den Morgenstunden wurde immer deutlicher, dass die Briten auf ihrem Vorhaben bestehen würden. Also brach der Protestmarsch am Mittag auf. Ohne Schusswaffen. Nur mit Stöcken und Brotlaiben. Sofort wurde er von den Briten angehalten, die vor einer Fortsetzung warnten. Sie hätten sich geweigert nachzugeben, erinnert sich Zvi, und statt anzuhalten hätten sie angefangen wenige Hundert Meter in Richtung des benachbarten Kibbuz zu stürmen. Dann eröffneten britische Truppen das Feuer. Acht Protestierende wurden getötet, 42 verletzt. Plötzlich sei es nur noch darum gegangen, sich um die Verletzten zu kümmern, erzählt Zvi. Der Boden sei schlammig gewesen und die Briten hätten keine Sanitäter geschickt. Er habe überall Blut gesehen erzählt Zvi. Es sei schrecklich gewesen. Der Schock, der durch die Ereignisse ausgelöst wurde, sass tief. Niemand, so versichert Zvi, hätte es für möglich gehalten, dass die Briten unbewaffnete Juden zusammenschießen.
Es war einer der dunklen Schatten, die sich über die Britische Mandatsherrschaft und ihre restriktive Einwanderungspolitik warfen.
Text: Oliver Vrankovic