Zalman

Zalman Ackermann erlebte die brutale Bombardierung Warschaus durch die deutsche Luftwaffe, die nicht zwischen militärischen und zivilen Zielen unterschied. Bei dem Luftangriff wurde das Gebäude in dem sich die Wohnung von Zalmans Familie befand so schwer getroffen, dass mehr als Hundert Bewohner des Gebäudes, die sich im Bunker in Sicherheit wähnten, ums Leben gekommen sind. Zalman, seine Eltern und seine Großmutter, die nicht in den Bunker gegangen waren überlebten. Ihre Wohnung war so verwüstet, dass sie fortan in der Küche und einem weiteren Zimmer wohnen mussten.

Sein Vater war Hutmacher und seine Mutter Krankenschwester und beide gingen nach dem Einmarsch der Deutschen zunächst weiter ihren Tätigkeiten nach. Sie dachten darüber nach, in den sowjetisch besetzten Teil Polens zu fliehen verwarfen diesen Gedanken. Zalman erzählt, dass die Restriktionen jeden Tag mehr und die Situation für die Juden jeden Tag schlimmer wurde. Im Oktober 1940 wurden die Juden Warschaus gezwungen ins Ghetto zu ziehen. Er erinnert sich an die unmenschliche Enge im Ghetto, den Hunger und die Hungertoten und die Krankheiten den sehr viele Menschen zum Opfer fielen und die Erschießungen.

Als SS Leute einmal wahllos in eine Menschenmenge schossen, wäre Zalman beinahe ums Leben gekommen. Der Winter 1941 war extrem kalt und forderte sehr viele Opfer. Erfrorene säumten die Straßen des Ghettos. Auch die Situation von Zalmans Familie verschlechterte sich zunehmend. Zalman gelang es illegal mit Zigaretten zu handeln und so etwas zum Überleben beizutragen. Anfang 1942 wurde sein Vater auf der Straße aufgegriffen und verschleppt. So spurlos wie sein Vater verschwanden auch Zalmas weitere Angehörige. Schließlich blieb ihm nur noch seine Mutter.

Obwohl erste Berichte vom Massenmord an den Juden bereits Ende 1941 das Ghetto erreichten und im Ghetto kein Tag verging an dem nicht ein Jude umgebracht wurde, fiel es den Juden schwer zu glauben, dass die Deutschen tatsächlich alle umbringen würden. Dann kam der 22. Juli 1942 den kein Jude, der ihn miterlebt habe, jemals vergessen könne, wie Zalman sagt. Obwohl seine Mutter Krankenschwester war und einen Ausweis hatte, der sie im Prinzip vor der Deportation schützen sollte, ging sie in ein Versteck. In der Wohnung, die sie und Zalman sich mit anderen teilten, wurde eine doppelte Wand eingezogen, die ein recht gutes Versteck bildete.

In den ersten 10 Tagen der Aktion, die bis zum 21. September dauern sollte wurden 65.000 Juden aus dem Ghetto zum Umschlagplatz gebracht und von dort deportiert. Meist nach Treblinka. Anfang September verschärften die Deutschen die Suche nach Versteckten im Ghetto und beteiligten sich verstärkt selbst bei der Suche, die sie bisher v.a. ukrainischen Helfern überlassen hatten. Zalman erinnert sich, wie Deutsche in den Höfen gebrüllt haben: “Alle raus! Alle runter!”. Noch heute, so sagt Zalman, kommen ihm diese Schreie sofort in den Sinn, wenn er Deutsch hört.

In der Zeit, so sagt er habe er einen unbändigen Willen zu Überleben verspürt. Zalman versteckte sich auf dem Dachboden, beobachtete, wo im Ghetto gesucht wurde und wagte sich sogar ein paar Mal nach draußen um nach Essen zu suchen. Dabei wurde er gefasst und mit anderen Juden, die das gleiche Schicksal erlitten, zum Umschlagplatz gebracht. Zalman wusste, dass die Züge in Vernichtungslager fuhren und der Tod auf ihn wartet. Am Umschlagplatz nutze er instinktiv und vom Willen zu Überleben ergriffen eine kurze Massenpanik, die Menschen in ein an den Umschlagplatz angrenzendes Gebäude drückte zur Flucht.

Während der Aktion wurden ca. 300.000 Juden aus Warschau nach Treblinka deportiert. 60.000 Juden verblieben im Ghetto. Zalman wusste dass er arbeiten musste und wurde Zwangsarbeiter am Bahnhof in Warschau. Seine Gruppe verließ jeden Morgen um sechs Uhr das Ghetto und hatte unmenschlich hart beim Warenumschlag von Güterzügen auf Lastwagen zu arbeiten.

Im Januar 1943, als die Deutschen eine erneute “Aktion” durchführten um alle verbliebenen “Illegalen” aus dem Ghetto zu holen erlebte Zalman den ersten bewaffneten jüdischen Widerstand im Ghetto mit. Nach den Januar Deportationen wurden überall im Ghetto unterirdische Bunker angelegt und auch Zalman und seine Mutter zogen in solch einen Bunker.

Am 19. April bekam Zalman den Ausbruch des Aufstands im Ghetto Warschau mit. Er und seine Mutter saßen im Bunker und wurden während der ersten drei Tage des Aufstands, an denen die Juden die Deutschen in Straßenkämpfen zurückdrängen konnten, immer wieder über den Verlauf des Aufstandes unterrichtet. Die massive Explosion am Tor des Bürstenmacherareals, die vielen Deutschen das Leben kostete, sorgte für große Freude. Sie konnten die Bunker nur in der Nacht verlassen, da sich die Deutschen in den Nächten aus Angst vor den jüdischen Aufständischen zurückzogen.

Zalman wurde vom Widerstand als Bote rekrutiert. Schließlich musste er miterleben, wie das Ghetto abgebrannt wurde und die höllische Hitze bis in die Bunker drang. Die Deutschen brannten Viertel um Viertel, Straße um Straße und Haus um Haus ab. Die Brände machten klar, dass es kein Überleben geben würde und die Euphorie über die Erfolge der Aufständischen in den ersten Tagen wich der Angst. Zalman weiß nicht wie lange er und seine Mutter bereits im Bunker waren, als das Gebäude über ihnen in Brand gesetzt wurde. Dicker Rauch drang in den Bunker ein und das Wasser in den Rohren begann zu kochen. Im Bunker war es unerträglich heiß und schließlich mussten sie aufgeben.

Zalman und seine Mutter traten mit den Anderen aus dem Bunker nach draußen und sahen das Inferno. Sie gelangten durch die Feuerhölle in einen bereits abgebrannten Teil des Ghettos und fanden dort ein Versteck. Die ersten Stunden der Flucht aus dem Bunker, so erinnert sich Zalman, waren am kritischsten. Es gelang ihnen, zwischen dem tobenden Feuer hindurchzugehen und die Ruinen der Häuser zu erreichen, die das Feuer bereits zerstört hatte. Am Tage suchten die Deutschen in den Trümmern mit Hunden nach Überlebenden und in der Nacht zogen sie sich zurück.

Die Überlebenden, die sich in den Ruinen abgebrannter Häuser versteckten, saßen in der Falle. Nach ein paar Tagen passierte das Unvermeidliche und Zalman und seine Mutter wurden entdeckt. „Juden Raus“ und “Schnell! Schnell!”. Zalman und seine Mutter und ein Dutzend Juden, mit denen sie sich das Versteck geteilt hatten, kamen mit erhobenen Händen heraus. Es waren Momente der Angst und des Schreckens. Sie mussten annehmen sofort hingerichtet zu werden. Tatsächlich wurden sie mit vielen anderen Juden, die man im Ghetto aufgespürt hatte zu einem Deportationszug gebracht.

In den Waggons, in denen die Juden zusammengepfercht wurden und in denen die Luft unerträglich stickig wurde, machte sich die Verzweiflung breit. Jeder wusste, dass am Ende der Fahrt der Tod auf sie wartete. Ein paar wenige Juden im Waggon, die sich ihrem Schicksal nicht ergeben wollten, arbeiteten fieberhaft daran, den Stacheldraht von den Fenstern zu lösen. Als traumatischsten Augenblick des Krieges beschreibt Zalman die Entscheidung sich von seiner Mutter zu trennen. Als der Zug auf einer eingleisigen Strecke fuhr wurde Zalman geholfen, sich durch das Fenster zu zwängen und an die Außenwand des Waggons zu gelangen, von wo er sprang. Zalman überlebte den Sprung und gelangte zurück nach Warschau.

Dort wurde er in einem Park von einem polnischen Polizisten entdeckt und verhaftet. Zalman kam ins Gefängnis Paviak des SD. Dort wurde nach einige Tagen Haft unter schrecklichen Bedingungen nach Majdanek deportiert. Dieses Mal hatte die Verzweiflung auch von Zalman Besitz ergriffen und er verhielt sich bis seiner Ankunft in dem Konzentrations- und Vernichtungslager passiv.

Im Gegensatz zu Hunderttausenden, die in Majdanek vergast wurden, kam Zalman ins Arbeitslager Skarzeco Kamienna, wo die Hauptfabrik des deutschen Rüstungsunternehmens „HASAG“ tätig war. Ende 1944 wurde er von dort in eine Außenstelle in der Stadt Czestochowa gebracht und im Januar 1945 ins Konzentrationslager Buchenwald deportiert. Die letzte Station der Hölle, die er bis zu seiner Befreiung durch die Amerikaner durchmachen musste, war der „Todesmarsch“.

Die Amerikaner steckten ihn in ein DP Camp und kümmerten sich dort so gut um ihn , dass er dem Tod, zu dem er in seinem Zustand verurteilt schien, entkam und körperlich gesund wurde. Getrieben vom Gedanken an Rache einerseits und noch viel mehr vom Verlangen Familienangehörige zu finden, die vielleicht auch überlebt hatten, verließ er das DP Camp in einer Gruppe von acht Jugendlichen, die alle aus dem gleichen Grund nach Polen wollten. Unterwegs verübten sie einzelne Racheakte, ihr Verlangen lebende Familienangehörige zu finden wurde aber immer dominanter. Russische Soldaten, auf die sie trafen, zeigten ihnen eine deutsche Farm, die anzueignen sie ihnen erlaubten. Von da ging es mit Pferden und Wagen weiter. In Warschau angekommen, musste Zalman herausfinden, dass Niemand seiner Familie außer ihm den Holocaust überlebt hatte.

Ohne Familie und ohne Irgendjemanden und ohne Besitz außer den Kleidern, die er am Leib trug, ging er zum Jüdischen Rat, einem Zusammenschluss aller jüdischen Bewegungen, der ihn ans Zentrum der sozialistisch-zionistischen Jugendbewegung Dror schickte, wo er Zivia Lubetkin traf, von der er im Ghetto Wahrschau immer nur gehört hatte. Zalman’s Vater war Bundist und Zalman selbst kein Zionist und als er im Dror Zentrum junge Juden sah, die Hora tanzten fand er es einerseits verrückt, fühlte sich aber andererseits – zu diesem Zeitpunkt 17 Jahre alt – von den Mädchen angezogen. Er ließ sich von Zivia Lubetkin, eine der legendären Anführer des Aufstands im Ghetto Warschau, die zu dieser Zeit für die Bricha aktiv war für den Kibbutz Sosnowiec gewinnen. Dort wurde er einige Zeit später von Zivia kontaktiert und für ein sechs-wöchiges Seminar in Lodz rekrutiert, um sich zum Madrich (hebräisch für Guide) für die Vorbereitung von Kindern für die Ausreise nach Israel, ausbilden zu lassen.

Zalman mit Hut in Indersdorf (copyright Anna Andlauer Archiv)

Das faszinierende an seiner Geschichte sagt Zalman heute, im Gespräch in Kfar Saba, ist das Vertrauen, dass ihm geschenkt wurde, der alleine, ungebildet und ohne jede Habseligkeit nach Warschau gekommen war. Jahre später im Kibbutz Lochamei HaGetaot, wo Zalman zehn Jahre gewohnt hat, ergriff er die Chance Zivia zu fragen, warum sie ihn für die Ausbildung zum Madrich ausgesucht hatte und sie hat ihm geantwortet, wegen seiner Augen.

Zalman Ackermann

Beim Seminar in Lodz wurde Zalman in Sozialismus, Zionismus und „Palästinografia“ unterrichtet. Unterrichtssprachen waren polnisch und jiddisch. In Lodz lernte Zalman Hebräisch und wurde zum Zionisten. Als Madrich kam er in einen Kibbutz in Bielawa und dann in den Dror Kibbutz Beit HaYeladim HaIwrit in Indersdorf, der nach der Auflösung des DP Kinderzentrums der UNRRA ins Kloster Indersdorf eingezogen ist.

Einladungen nach Deutschland hat Zalman immer ausgeschlagen. Nie wieder, so sagt er, habe er danach deutschen Boden betreten. Warum, so fragt er, soll er nach Deutschland kommen, um deutschen Jugendlichen zu erklären, dass ihre Großväter elende Mörder waren, fragt er. Dies zu vermitteln, so meint er, solle Sache des deutschen Bildungssystems sein.

Zalman Ackemann 2019  (copyright: Anna Andlauer)

Zalman schloss sich der Aliya Beth an. Das Flüchtlingsboot auf dem er war, wurde abgefangen. Nach Wochen im Internierungslager auf Zypern kam er in den Yishuv. Mit das Erste, was Zalman dort machte war sich dem Palmach anzuschließen. Darauf, dass er als Holocaustüberlebender in der Einheit Har’El des Palmach im Befreiungskrieg gekämpft hat, so sagt er, ist er besonders stolz.

Shmuel an der TAU (copyright Anna Andlauer)

Im Januar 2019 sprach Zalman Ackermann bei der Eröffnung der Ausstellung „Das Leben danach“ über das Hebräische Kinderhaus im Kloster Indersdorf an der Universität Tel Aviv.