Ich lebe seit 2007 in Israel und habe durch meine Arbeit im Elternheim und außerhalb des Heims viele Menschen kennengelernt, die älter sind als der Staat Israel. Manchen habe ich kurze Einträge auf Facebook gewidmet. Auch vielfachen Wunsch habe ich die Posts hier zusammengetragen.
Robert Tomashov
(facebook post vom 23.10.17)
Robert Tomashov wurde 1915 in der slowakischen Stadt Dolny Kubin geboren. Seine Mutter kam aus einer Bierbrauerdynastie und seine Familie war vermögend, zionistisch und gottesfürchtig. Im März 1939 sollte Robert Tomashov nach abgeschlossenem Hachshera Kurs ein Einreisezertifikat für Palästina ausgestellt werden.
Er fuhr nach Prag, um das Dokument bei der Vertretung der Jewish Agency abzuholen. Dort wurde er gefragt, ob er verheiratet sei, was er verneinte. Also wurde er gebeten, sein Zertifikat einem Paar mit Kindern zu überlassen und selbst noch ein paar Wochen bis zur Ausstellung eines neuen Zertifikats für ihn zu warten. Als Ende März die Deutschen in die Tschechoslowakei einmarschierten, zerschlug sich seine Hoffnung auf ein Zertifikat und er ging nach Bratislava.
Robert Tomashov diente in der Arbeitsbrigade der slowakischen Armee, dessertierte, versteckte sich in einem Dorf, kehrte nach Bratislava zurück und lebte dort mit falschen Papieren bis er von einem Nachbarn entdeckt wurde. Mit Hilfe eines Gerechten wurde er einer Gruppe protestantischer Jungen angeschlossen und gelangte mit einem gefälschten Ausweis auf den Namen Estefan Etsch 1944 nach Budapest.
Dann fielen die Deutschen in Ungarn ein. Moshe Kraus, der Leiter des Eretz-Israelischen Büros, vermittelte Tomashov an die YMCA in Budapest, wo Christen und ein paar Juden mit falschen Papieren arbeiteten. Der YMCA war im Besitz einiger Transitgenehmigungen. Tomashov wurde dem YMCA als polnischer Christ Tomaschowski vorgestellt und bekam am 7. April eine der Transitgenehmigungen. Dem Papier fehlte nur noch der authentifizierende Stempel, den der Geschäftsführer am nächsten Tag erteilen sollte. Am Morgen des 8. April wurde Robert Tomashov auf dem Weg in die Büros der YMCA von der ungarischen Gendarmarie aufgegriffen. Er wurde wegen des fehlenden Stempels der Gestapo übergeben, die ihn im Hotel Majestic, dem Hauptquartier von Eichmann, gewaltsam verhörte. Als zu Ende des Verhörs Eichmann kam hat Robert diesen angefleht ihn zu verschonen, doch Eichmann hat nur entgegnet: “Hinüber zu den anderen Banditen”, was bedeutete, dass er für den Transport nach Auschwitz bestimmt war. Er kam in ein Gefangenenlager, wo ca. 1000 Juden interniert waren, die für den Transport nach Auschwitz bestimmt waren. Als er dort auf dem Boden saß und sein bitteres Schicksal vor Augen hatte, ging ein ungarischer Gendarm durch das Lager und schrie, dass jemand gesucht würde, der vom Russischen ins Ungarische übersetzen könne. Tomashov reagierte erst als der Gendarm sich wiederholte. Wohl wissend, dass er Tschechisch, Ungarisch, Deutsch und Polnisch beherrschte, aber nur ein paar wenige Brocken Russisch. Tomashov wurde in einen Raum mit einem Schreibtisch und einer Schreibmaschine gebracht, wo er Transportscheine für 60 festgenommene Ukrainer ausfüllen sollte, die ihm einer nach dem anderen vorgeführt wurden. Irgendwann entdeckte er in einer der Schubladen des Schreibtisches einen Bündel gestempelter Passierscheine. Passierscheine für den Ein- und Ausgang mit Begleitung und solche ohne Begleitung. Er nutzte einen kurzen Augenblick, in dem er unbeaufsichtigt war, um sich einen Passierschein für den Ein- und Ausgang ohne Begleitung aus der Schublade zu fischen.
Die ungarischen Angestellten beendeten um fünf Uhr ihre Arbeit und trugen ihm auf, die Transportscheine bis zum Morgen fertig zu machen. Aus ihren Gesprächen hörte Tomashov heraus, dass die Lagergebäude geschlossen würden. Er wartete den Moment ab, in dem die Wächter ihre Posten verließen, nahm den Stapel Transportscheine, die er ausgefüllt hatte und ging ins Erdgeschoss, wo er auf einen weiteren Wächter traf, dem er sagte, dass er seine Arbeit beendet habe und jemanden suche, dem er die Transportscheine übergeben könne. Der Wächter antwortete, dass er zunächst das Gebäude abschließen müsse und sich dann um ihn kümmern würde. Als er aus seinen Augen verschwunden war, beeilte sich Tomashov zum Lagertor zu gelangen, wo er seinen Passierschein zeigte. Einer der beiden Wächter zögerte, ließ sich aber von einem weiteren Wächter überzeugen, dass alles in Ordnung sei.
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Ernest Stock
(facebook post vom 17.2.18)
Am Tag nach der Reichspogromnacht in Frankfurt schloss das Philanthropin seine Pforten. Einer der Schüler der jüdischen Schule war der 14jährige Ernest Stock.
Ernest trägt noch viele Erinnerungen an seine Schulzeit in sich. 1937 sah er voller patriotischem Stolz den Zeppelin Hindenburg ueber das Philanthropin fliegen.
Andererseits schlossen sich seine deutschen Freunde aus der Nachbarschaft einer nach dem anderen der Hitlerjugend an und begannen sich von ihm fern zu halten .
An seinem letzten Tag in der Schule sah er mit Klassenkammeraden durch die Fenster im obersten Sock die nahe gelegene Synagoge in Flammen aufgehen. Auf dem Heimweg wurde er von Braunhemden der Hitlerjugend drangsaliert. Wenige Tage nach der Reichspogromnachr flüchtete Ernest mit seiner zehnjährigen Schwester aus Deutschland. Seine Mutter blieb zurück, da Ernest Vater in Buchenwald interniert war. Es half ihm wenig als Patriot im ersten Weltkrieg an beiden Fronten für Deutschland gekämpft zu haben.
Ernest und seine Schwesterwurde von der Familie eines Schulfreundes nach Thann im Elsass eingeladen, wohin die Familie – polnische Juden – vorausschauend geflohen waren.
Es gelang, die beiden einem Kindertransport von 80 Kindern aus einem Frankfurter Waisenhaus anzuschliessen, der am 6. Dezember nach Strassburg aufbrach. Ernest gimachte in Straßburg eine Photographenlehre und gingauf die Ecole du travail. In beseonderer Erinnerung blieb ihm die Freiheit, in der die Juden Frankreichs lebten und die Selbstverständlichkeit mit der sie zugleich Juden und Franzosen waren.
Als die vermeintlichen Frontregionen des sich abzeichnenden Krieges evakuiert wurden, gelangte Ernest mit seiner Schwester, die in Thann auf eine Klosterschule gegangen war, nach Vaucresson. Dort wurden sie von einem Bekannten ihres Onkels mütterlicher Seite aufgenommen. Er hatte eine Frau und vier Kinder. Als Deutscher wurde er von den Franzosen zeitweise interniert, was Ernest zur Verantwortung im Haushalt zwang. Sein Schulfreund, zu dessen Familie im Elsass sie aus Deutschland fliehen konnten schloss sich während des Krieges dem Widerstand an und spionierte ein deutsches Armeequartier aus. Er wurde entdeckt und in Auschwitz vergast.
Die Mutter von Ernest hatte für ihren Mann ein Einreisevisum für Grossbritannien erhalten und hielt ihn an zu fliehen. Er gelangte bis Holland, wo ihn der Krieg einholte bevor er auf die Insel übersetzen konnte. Er überlebe versteckt bei einer holländischen Familie.
Die Mutter von Ernest gelangte im Frühjahr 1940 an ein Visum für die Verenigten Staaten.
In Vaucresson fand Ernest eine Anstellung als Kurier für eine Zahntechnikerin und fuhr zwei bis drei Mal die Woche mit dem Zug nach Paris.
Dort bemuehte er sich auch um ein Einreisevisum für die Vereinigten Staaten und um eine Finanzierung der Überfahrt durch den Hilfsverein für jüdische Migration Hicem. Es wurde mehr und mehr ein Wettlauf gegen die Zeit. Wieder und wieder wurde der 15jährige abgewiesen.
Im Tagebuch das Ernest führte wird die Hoffnung und Verzweiflung des zur Verantwortung gezwungen Jugendlichen deutlich. Neben akribischen Abrechnungen finden sich Einträge über fruchtlose Ämterbesuche.
Es sollte bis zum 20. Mai 1940 dauern, bis sie ein Einreisevisum für die Vereinigten Staaten bekamen, mit der Aussicht auf eine Überfahrt am 6. Juli. Doch am 13. Juni mussten sie Vaucresson in einem Strom von Flüchtlingen in Richtung Ungewissheit verlassen. Am 14. Juni eroberten die Deutschen Paris. Ziel von Ernest und siner Schwester war Clermon Ferrand, wo eine Beauftragte für die Waisen, mit denen sie nach Frankreich geflohen waren, Unterkunft gefunden hatte. Diese schickte die beiden nach Bordeaux, von wo sie mit dem Schiff fliehen könnten und wo es eine Zweigstelle des Hilfsvereins gab, der ihnen mit der Finanzierung der Überfahrt hätte helfen können. Doch es gab in Bordeuax keine Schiffe mehr und der Hilfsverein war geschlossen. Zu ihrem Glück hatten sie die Adresse einer einflussreichen jüdischen Familie in Bordeaux bekommen, die Ernest und Lotte half an Visa fuer Portugal zu kommen und sie in Richtung Lissabon weiterschickte.
Die Beiden gelangten nach Bayonne und von dort nach Irun, wo sie sich um ein Einreisevisum für Spanien bemühen mussten. Die Bemühungen waren fruchtlos, doch Ernest entdeckte einen amerikanischen Van auf dem Pflegeeltern für Kriegskinder geschrieben stand. Dieser nahm sie mit nach Biarritz in eine Kinderkolonie. Der amerikanische Konsul in Biarritz versprach ihnen sie mit einem Konvoi amerikanischer Rückkehrer nach Spanien zu bringen.
Das Tagebuch, das Ernest führte, wurde zusammen mit dem Tagebuch seiner Mutter als Buch veröffentlicht. Es ist eines von mehreren Büchern von Professor Stock, der später als GI nach Frankfurt zurückkehrte und nach seiner Einreise nach Israel Direktor der renommierten Brandeis wurde.
Ernest Stock verbringt mit seiner Frau seinen Lebensabend im Heim. Mit grossem Interesse habe ich seine Bücher gelesen. Vor einigen Tagen hat er sein Tagebuch der Wiener Library vermacht wo es derzeit eingescannt wird. Ich emfand es sehr eindrücklich das Original in den Händen zu halten.
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„Joske“ Nachmias
(facebook post vom 26.9.17)
1925 wurde Josef “Joske” Ben David Nachmias in Jerusalem geboren. Er kam als eines von acht Geschwistern einer seit Generationen in Jerusalem ansässigen Familie zur Welt.
Im Januar 1941 rekrutierte er sich für die britische Armee. Diese stand in Nordafrika unter Druck und sah über gefälschte Geburtsdaten, so großzügig es ging, hinweg.
Joske wurde ausgebildet und kämpfte in Nordafrika gegen die anrückenden Deutschen. Yoske war der Einheit 1. CRE Aerodromes zugeteilt, die auf eingenommenen Flugplätzen zum Einsatz kam. Bei der Schlacht um Tobruk wurde er beauftragt eine Sprengfalle im zweigeschossigen Hauptgebäude anzubringen. Der Flugplatz war hart umkämpft. Die Briten planten einen taktischen Rückzug und sein Kommandant meinte zu Yoske, dass er von dem Gebäude nichts mehr sehen wolle, wenn sie zurück kommen würden. Yoske brachte die Sprengfallen unter großem Zeitdruck vor den anrückenden Deutschen an und verband den Auslöser mit einer Toilettenspülung. Als seine Einheit das nächste Mal auf den Flugplatz gelangte sah er das Gebäude tatsächlich dem Erdboden gleich gemacht.
Bei einer Truppeninspektion durch Winston Churchill in Tripolis reizte Josef Nachmias seinen Nationalstolz aus. Während die Soldaten ihrer Majestät Churchill mit britischen Flaggen zuwinkten, wartete Yoske ab, bis der Premier in seinem Wagen auf seine Höhe gelangte und zog dann eine Fahne mit dem Davidstern hervor. Churchill lies anhalten, stieg aus und kam auf Yoske zu. Die Umstehenden hatten ein sehr ungutes Gefühl für Yoske. „Where are you from, lad?“ fragte Churchill. „Jerusalem“ antwortete Yoske. „Good guy“ entgegenete der Premier.
Josef Nachmias wurde er in Sizilien verwundet und gelangte zurück nach Palästina, wo er bis zum April 1946 im Dienst der Britischen Armee blieb. Trotzdem schloss er sich dem Kampf des Etzel gegen die britische Mandatsmacht an.
Eine Etzel Operation, die Yoske befehligte, richtete sich gegen ein Militärlager der Briten in Beit Nabalah bei Lod. Am Weihnachtstag 1945 kam er als britischer Soldat gekleidet mit vier weiteren „Soldaten“ scheinbar betrunken in das Militärlager, während 12 Kameraden in Zivil unweit des Lagers warteten. Unbefugt Uniformen der britischen Armee zu tragen, sei sehr gefährlich gewesen, erklärt Yoske. Auf das Vergehen stand die Todesstrafe.
Die fünf Eindringlinge sangen aus voller Kehle “I’m dreaming of a white christmas” und verteilten Whisky, den sie aus ihrem gefakted Jeep holten. Der Alkohol war mit Schlafmittel versetzt, dass nach kurzer Zeit wirken sollte. Tatsächlich dauerte es 2 ½ Stunden, bis die Wirkung einsetzte. Yoske und seine Männer, die alle mit jiddischen Kosenamen arbeiteten, räumten die Waffendepots des Lagers leer und flüchteten.
Als der Etzel einen Anschlag auf die Ad Halom-Brücke verübte wurde Yoske, der noch im Dienst der Britischen Armee stand, gefasst und von einem Feldgericht als Verräter zum Tod durch Erschießen verurteilt. Doch „so früh wollten sie mich da oben nicht haben” sagt er und erklärt eine Verkettung von Ereignissen, die ihm das Leben retteten. Zehn Tage bevor er gefasst wurde, gelang es ihm mit aufgeklebtem Spitzbart und einer Hand voll Kameraden fünf Angehörige der Britischen Armee aus einem Offizierskasino in Tel Aviv zu zu entführen. Damit sollte das Todesurteil gegen zwei Etzel Kämpfer verhindert werden, die zuvor von den Briten gefasst wurden. Schließlich rette es ihm selbst das Leben, da die Briten angesichts der Gefangenen davon abließen das Todesurteil zu vollstrecken. Die Briten suchten fieberhaft nach den Entführten, konnten deren Verlies in der alten Busstation aber nicht ausfindig machen. Yoske wurde statt zum Tod zu lebenslang verurteilt und saß 13 Monate im berüchtigten Gefängnis von Akko ein.
Am 4. Mai 1947 gelang es dem Etzel in seiner spektakulärsten Militäroperation Gefangene aus Akko zu befreien. Zwanzig Angreifer gelangten mit Jeeps und drei Trucks als “britischer” Militärkonvoi auf das Gefängnisgelände, während kleine Wachtruppen an den Zufahrten platziert wurden. Den Angreifern gelang es ein Loch in die Gefängnismauer zu sprengen und den für die Befreiung vorgesehenen Gefangenen gelang es nach Plan auszubrechen. Der erste Lastwagen mit Angreifern und Gefangenen, der Akko verlies geriet in eine britische Straßensperre, wo er unter Feuer genommen wurde. Drei Etzel Kämpfer die in der Nähe stationiert waren und zur Unterstützung kamen, wurden erschossen. Insgesamt ließen neun Angreifer und Ausbrecher ihr Leben.
Zwei weiteren Lastwagen gelang dagegen die Flucht. Aufgrund eines Missverständnis wurde ein Wachtrupp, der eine Zufahrtsstraße zum Gefängnis sicherte nicht rechtzeitig abgezogen. Die fünf Mann wurden gefangen genommen. Drei von ihnen wurden zum Tode verurteilt.
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