Zwei-Staaten-Lösung pt.1

Sie habe gehört, dass Israel durch Erdplattenbewegungen aus dem Nahen Osten herausgebrochen werden könne, lacht Ofra die Frage weg, wie der Konflikt zu lösen sei. Die überzeugte Anhängerin der Arbeiterpartei gehört zu den Israelis, die jedes Jahr an den großen Friedensdemonstration auf dem Rabin Platz teilnehmen. Es sei ihr wichtig, ein Zeichen gegen den Irrsinn der Besatzung zu setzen, sagt sie.

Einzig eine Zwei-Staaten-Lösung bewahre die Juden in Israel davor, entweder zur Minderheit in einem Bi-Nationalen Staat zu werden, oder ein Apartheidsregime einführen zu müssen. Der status quo führe das Ende des Zionismus herbei, erklärt die Tochter deutscher Juden aus Givatayim, einer wohlhabenden Kleinstadt und Hochburg der Arbeiterpartei. Wenn die Abspaltung von den Palästinensern plattentektonisch nicht gelinge, garantiere einzig und allein eine Zwei-Staaten-Lösung einen jüdischen und demokratischen Staat. Die Zeit sich hinter der palästinensischen Friedensverweigerung zu verstecken, um sich weiter in den besetzten Gebieten einzubetonieren, sei vorbei.

Gaza
Gaza

In einer Bar in Nes Ziona erzählt mir Liat, dass sie bis zu ihrem zehnten Lebensjahr mit ihren Eltern regelmäßig an den Strand von Gaza gefahren sei. Die alleinerziehende Mutter stammt aus Sde Avraham, einer Genossenschaftssiedlung an der Grenze zum Gazastreifen. Ihr Vater ist in Argentinien geboren, ihre Großmutter lebt noch in dem südamerikanischen Land. Ihre Familie mütterlicher Seite stammt aus England. In Sde Avraham, so erinnert sich die 39jährige bei einer Diet Coke arbeiteten viele Araber aus Gaza. Eine ältere Palästinenserin – Fatma – habe ihr immer ein wenig die Großmutter ersetzt. Warum es zur ersten Intifada kam, hätte sie mit ihren zehn Jahren nicht nachvollziehen können. Und um ehrlich zu sein, sagt die rothaarige Israelin, könne sie es auch heute noch nicht verstehen. Nach allem, woran sie sich erinnern könne, hätten es die Palästinenser nicht so schlecht gehabt. Liat verließ nach ihrem Armeedienst das Land, reiste durch Südamerika und die USA und blieb schließlich für viele Jahre in New York. Erst vor zehn Jahren kehrte sie nach Israel zurück. Genau in der Zeit, als Israel den Gazastreifen räumte. Die Palästinenser, so sagt sie, hätten viel aus dem Küstenstreifen machen können. Es sei ein Ort, wie gemacht für den Tourismus und die jüdischen Siedler hätten aufgezeigt, dass sich gewinnbringend Landwirtschaft betreiben lasse. Israelisch-palästinensische Industrieparks, wie sie angedacht waren, hätten beiden Seiten Wohlstand gebracht.

Sie sei eine entschiedene Befürworterin des Abzugs gewesen. Heute aber sehe sie die Räumung als Fehler an. Drei militärische Auseinandersetzungen hat die attraktive Israelin seit ihrer Rückkehr miterlebt, die letzte 2014 als alleinerziehende Mutter einer 3jährigen Tochter. Sie seinen quasi den ganzen Tag im Bunker gesessen, erzählt sie. Die Hamas griff die grenznahen israelischen Kollektiv- und Genossenschaftssiedlungen mit Granatwerfern an. Nach Ertönen des Alarms bleiben den Bewohnern nicht mehr als drei bis fünf Sekunden um sich in Sicherheit zu bringen. Und dann, so holt sie Luft, seien dort die Tunnel. Die Bewohner verschiedener Siedlungen im Grenzgebiet zum Gazastreifen hätten schon seit Jahren bei der Armee angegeben, dass sie unter ihren Häusern Geräusche und Stimmen hören würden. Man hätte sogar relativ genau den Verlauf der Terrortunnel nachvollziehen können. Es sei ein Skandal unbeschreiblichen Ausmaßes, dass die Gefahr von der Politik ignoriert wurde. Wie inzwischen bekannt ist, plante die Hamas zum jüdischen Neujahrsfest 2014 eine der Siedlungen im Grenzgebiet zu überfallen. Dann aber entschloss sich die Terrororganisation während der militärischen Auseinandersetzung im Sommer 2014 zur Infiltration. Am 17. Juli tauchten ein Dutzend Terroristen in die Nähe von Sufa auf, ca. einen Kilometer entfernt von Sde Avraham. Das Überfallkommando wurde von der israelischen Armee entdeckt und neutralisiert. Nach weiteren Infiltrationen gingen die Israelis mit Bodentruppen gegen das Tunnelnetzwerk vor. Warum sich die Hamas nicht zusammengerissen hätte, wisse sie nicht, sagt Liat und will sich gar nicht ausmalen, was passiert wäre, wenn sich die Terrororganisation an ihen ursprünglichen Plan gehalten hätte. Im Zuge der Infiltration seinen alle Bewohner des ohnehin geplagten Regierungsbezirks Eshkol vom Heimatschutz angewiesen worden ihre Häuser zu verdunkeln und zu verriegeln. Im Dunkeln zu sitzen, nicht wissend, welche Mordkommandos sich womöglich draußen herumtreiben, habe sie ziemlich entnervt, gibt Liat zu. Schließlich habe sie es nicht mehr ausgehalten und sei bis zum Ende der Kampfhandlungen ins Landesinnere geflüchtet. Dass sie schließlich im Herbst 2014 nach Nes Ziona, eine wohlhabende Kleinstadt im Landesinneren, gezogen sei, will sie nicht als Kapitulation begriffen haben. Da hätten andere Faktoren eine Rolle gespielt.

Sie liebe das Leben sagt Liat. Sie verbringe die Wochenenden in der Natur und sei es all die Kriege leid, die so viele Unschuldige fordern würden. Unschuldige, wie Daniel Tregerman, ein vierjähriger Junge aus dem Kibbuz Nachal Oz, unweit von Sde Avraham, der von einer Mörsergranate getötet wurde, die von einer UN Schule abgefeuert wurde. Auch das Sterben der vielen unschuldigen Palästinenser, nur wenige Minuten von ihrem Moshav entfernt, habe sie nie kalt gelassen. Die Idee Land für Frieden tauschen zu können, sei begraben, sagt Liat.

Eigentlich interessiere sie sich nicht groß für Politik, gibt Liat zu, als wir ein paar Tage später an einem Gefallenendenkmal nahe des Kibbuz Nir Am stehen, nur wenige Meter vom Grenzzaun zum Gazastreifen entfernt. Von dem Aussichtspunkt lässt sich der Gazastreifen überblicken und gibt den Blick frei auf das Mittelmeer. Um drei Uhr mittags sind die tausendfachen Rufe der Vorbeter aus dem Küstenstreifen zu hören. Auf den Straßen patrouilliert die Armee. Als Netanyahu wieder gewählt wurde, sagt Liat, hätte sie ihre Wut auf die Israelis herausschreien mögen. In all den Jahren, in denen er an der Macht sei, habe er es nicht vermocht, die Sicherheitslage zu verbessern. Inzwischen klagten die Menschen wieder darüber, dass unter ihren Häusern gegraben würde.

Sderot
Sderot

Auf Sderot, eine Entwicklungsstadt im Grenzgebiet zum Gazastreifen, wurden in den letzten zehn Jahren tausende Raketen abgefeuert. In der “Hauptstadt der Bunker” sind nach Studien mehr als ¾ der Kinder traumatisiert.
Gil ist ein äthiopischer Jude, der in den 80er Jahren während der Hungersnot aus Äthiopien in den Sudan geflohen ist. Er verlor bei der Flucht seine Eltern und gelangte als Waise nach Israel. Gil, der als Reservist 2000 bei der Al-Aksa Intifada im Gaza eingesetzt wurde, erinnert sich, wie drei Soldaten aus seiner Kompanie im Küstenstreifen gefallen sind. Er dreht mit mir eine kleine Runde, bevor wir uns bei Eitans Falaffel stärken. Sderot erscheint mir trister als vor fünf Jahren, als ich die Entwicklungsstadt das erste Mal besuchte. Die Geschäfte sind uninspiriert und oft heruntergekommen. Gil wünscht sich eine Militäroperation gegen die Hamas an deren Ende die Zerschlagung der Terrororganisation steht. Nach dem Vorbild der Operation Schutzschild im Westjordanland. Den Palästinensern gehe es nicht um einen eigenen Staat, sondern um die Zerstörung Israels. Mit all dem Material und Aufwand, der in die Terrorinfrastruktur gesteckt würde, hätte ein Modellstaat geschaffen werden können. Die Palästinenser, so erzählt er, hätten im Sommer 2014 mehrfach das Kraftwerk, dass den Gazastreifen mit Strom versorgt, unter Feuer genommen. Sein bedeutender Blick verrät, dass damit eigentlich alles gesagt sei.

Haim Zaban ist ein Sabre, wie die Juden genannt werden, die im Land geboren sind. Haim kam zwölf Jahre vor der Gründung des Staates Israel zur Welt, in der Zeit des Britischen Mandats, das nach dem Ende des ersten Weltkrieges die osmanische Herrschaft in Palästina ablöste.
Seine Großeltern waren russische Zionisten, die jedes Jahr eines ihrer sechs Kinder in den Yishuv schickten, die jüdische Gemeinschaft in Palästina. So gelangte auch seine Mutter nach Erez Israel. Aus dem Kibbuz, in das sie ging, flüchtete sie noch am nächsten Tag, nachdem sie bemerkte, dass die Jungen der Kollektivsiedlung Gucklöcher in die Wände der Duschen gebohrt hatten. Sie ging nach Jerusalem, wo sie Haims Vater kennenlernte und mit ihm in Sheikh Sharrah eine Familie gründete.
Haim wurde in dem Jahr geboren, als es im Mandatsgebiet zum arabischen Aufstand gegen die jüdische Einwanderung und vielfache Übergriffen auf jüdische Siedlungen kam. Bewohner des Pinkhas Rosen Elternheims, die deutlich älter als Haim sind, können sich an die Feindseligkeiten noch gut erinnern. So weit Haims Erinnerungen zurückreichen, sei in Sheikh Jarrah kein Tag vergangen, an denen es keine Schlägerei zwischen Juden und Arabern gegeben habe. Nach dem UN Teilungsbeschluss kam Sheikh Jarrah unter Beschuss arabischer Milizen. Die Hagana evakuierte die Bewohner des Viertels und Haim kam mit seiner Familie bei einem Onkel im Viertel Rehavia unter.
Während des jüdisch-arabischen Bürgerkrieges, der dem israelischen Unabhängigkeitskrieg vorausging, ereignete sich in Sheikh Jarrah ein besonders brutaler Überfall auf einen medizinischen Konvoi, der sich auf dem Weg zum Krankenhaus Hadassa auf dem Skopusberg befand. Der Überfall forderte über 70 Tote, v. a. Ärzte und Schwestern.

Im Zuge der Staatsgründung wurde Israel von mehreren arabischen Armeen angegriffen, unter ihnen die schlagkräftige Arabische Legion aus Jordanien. Diese rückte auf Jerusalem vor, besetzte den Osten der Stadt und belagerte den jüdischen Westteil. Mit Latrun besetzte die Legion einen Abschnitt des Versorgungsweges von der Küste nach Jerusalem. Haim erinnert sich an den Hunger in der Stadt. Den israelischen Streitkräften gelang es wiederholt nicht den Versorgungsweg nach Jerusalem freizukämpfen. Die Altstadt fiel. Haim verbrachte die Nächte mit Dutzenden Kindern verschiedener Familien in einem provisorisch errichteten Bunker in Rehavia. Schließlich erinnert sich Haim an den erlösenden Durchbruch eines Versorgungskorridors durch die Vorberge Jerusalems (“Burma Straße”).
Es gelang den Juden bis zum Ende des Krieges nicht, Latrun einzunehmen. Viele Israelis, unter ihnen viele Holocaustüberlebende ließen bei den Kämpfen um Latrun ihr Leben. Ostjerusalem, einschließlich der Altstadt und Sheikh Jarrah blieben unter jordanischer Kontrolle. Die Grenzen von 1967 so erinnert Haim, seien nichts anderes als die Waffenstillstandslinie von 1949. Im Sechstagekrieg fielen 1967 alle jordanisch besetzten Gebiete einschließlich Ostjerusalem an Israel. Seither, so erinnert Haim trocken, verstünden sich die Araber dort als Palästinenser, denen auf dem vormals von Jordanien besetzten Gebiet ein eigener Staat zustehe.

Frieden zwischen Juden und Arabern, so sagt Haim, gab es nicht und so ist er sich sicher, wird es nicht geben.
Zum Siedlungswerk in den seit 1967 besetzten Gebieten hat er ein zwiespältiges Verhältnis. Judäa und Samaria seien die Wiege des jüdischen Volkes, sagt der religionsfeste Agrarwissenschaftler. Hebron etwa sei bis 1929 tausende Jahre lang durchgehend von Juden bewohnt gewesen.
Was Sheikh Jarrah angeht, so wurden dort 2010 jüdische Eigentumsansprüche im Shimon HaTzaddik Viertel anerkannt. Fuer Haim sind die Siedler im Recht. Die Nachbarschaft um das Grab von Simon des Gerechten gehöre den Juden. Ob er bereit wäre auf das Grab zu verzichten, wenn es dafür Frieden geben würde, frage ich ihn.
Für echten Frieden, so sagt er, würde er auf die Klagemauer verzichten.

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Ost Jerusalem

Als seine Enkelkinder erwachsen wurden, fühlte sich Pessach Anderman verpflichtet, seine Geschichte zu erzählen. Davon wie er den Holocaust überlebte und davon, wie er Jerusalem verteidigte. Um künftigen Generationen von Israelis für den weiteren Aufbau ihrer Nation zu stärken und um künftigen Generationen von Nicht-Israelis die Begründung für den jüdischen Staat darzulegen.
Im Geleitwort seines Buches „Der Wille zu leben“ schreibt Pessach Anderman: “Noch heute sind wir bedroht und unsere Feinde versuchen uns brutal zu terrorisieren. In aller Welt gibt es Menschen, die meinen, uns bei jeder passenden Gelegenheit kritisieren zu müssen, wobei teilweise auch antisemitische Beweggründe mitspielen. Sie sehen uns gerne schwach und armselig, ohne begriffen zu haben, dass der Israeli nicht mehr der schwächliche Jude ist, den sie aus der Diaspora kennen. Wir sind uns sicher, dass wir ein Anrecht auf unser kleines Land haben, und werden, wenn nötig, darum kämpfen, in unserem eigenen Staat zu leben.”

Der Holocaustüberlebende Pessach Andermann war einer der Pioniere des religiös-zionistischen Kibbuz Messuot Jitzhak im Siedlungsblock Gush Ezion.
Das zionistische Siedlungswerk war harte Arbeit und besonders in den Bergen um Jerusalem verlangte es viel Schweiß, Felsen zu sprengen, Terrassen anzulegen und Land urbar zu machen.

Am 11. Mai 1945 begann die arabische Legion den Siedlungsblock anzugreifen, um auf Jerusalem vorzurücken. Zehntausende Araber aus den Dörfern schlossen sich der Offensive an. Die Gefechte am Felsenhügel, der Verteidigungslinie vor dem Siedlungsblock, dauerten zwei Tage an. In diesen zwei Tagen konnten die Verteidigungsanlagen im Kibbuz Ramat Rahel, dem Einfallstor nach Jerusalem, soweit befestigt werden, dass ein Fall der Stadt verhindert wurde.
Erst als ihnen am Vorabend der israelischen Unabhaengigkeit die Munition ausgegangen sei, erzählt Pessach, hätten sie ihre Stellung am Felsenhügel geräumt.
„Der Felsenhügel, auf dem das erbitterte Gefecht stattfand“, so der ehemalige Verteidigungsminister Ehud Barak in einem persönlichen Brief an Pessach, „ist heute eine Gedenkstätte, besucht von israelischen Kindern und Soldaten, die wie ich hoffe, die Geschichte ihres Heldentums von dort weitertragen werden.”

Ehud Barak, langjähriger Parteifreund und persönlicher Vertrauter von Pessach, bot als israelischer Ministerpräsident den Palästinensern 2000 einen Staat auf dem Silbertablett an. Auf 97% der Westbank (plus Gebietskompensation) und Ostjerusalem als Hauptstadt.
Die Palästinenser unter Arafat, so sagt Pessach, hätten sich gegen die Etablierung eines eigenen Staates und für die zweite Intifada entschieden. Mit der palästinensischen Führung sei auch heute noch kein Friede zu schließen, sagt Pessach. Gleiches gelte für die derzeitigen israelischen Machthaber. Israel, so meint er, sei in der Geiselhaft der Siedlungslobby und der Religiösen. Dem nach dem Sechstagekrieg neu gegründete Siedlungsblock Gush Etzion kann er nichts Gutes abgewinnen.
Eine Annäherung zwischen den Völkern sei aber möglich und den Willen zum Frieden werde auf beiden Seiten von einer Mehrheit getragen, ist Pessach  überzeugt.
Pessach sieht sich als Teil der zu wenig gehörten Mehrheit auf israelischer Seite.  Es sei an der Zeit, sagte Pessach, als er in diesem Jahr das Mikrophon bei der Asher Ben Natan Konferenz ergriff, dass diese Mehrheit sich Gehör verschaffe.
Pessach begleitete in seinem zivilen Leben eine leitende Funktion in einem Betrieb der Metallindustrie. Geschäftlich hatte er nicht nur mit Deutschen, sondern auch viel mit Palästinensern in Hebron, Nablus und Gaza zu tun, zu denen er auch außerhalb der Arbeit Kontakte knüpfte und die er dort besuchte.
Den Schlüssel zum Frieden sieht er in einer Verbesserung der wirtschaftlichen Lage in den palästinensischen Gebieten.

Pessach und ich © Florian Krauss
Pessach und ich © Florian Krauss

Ich hatte vor einigen Wochen die einmalige Gelegenheit mich mit Elyakim Rubinstein zu unterhalten, dem ehemaligem israelischem Chefunterhändler bei den Friedensverhandlungen mit Jordanien. Rubinstein kann ein Lied davon singen, wie schwierig es ist einen Frieden auszuhandeln. Nicht weniger anstrengend, so sagt er, sei es den Frieden zu pflegen.

Jordantal
Jordantal

Er halte eine Zwei-Staaten-Lösung für richtig, sagt Yoel Hason, Abgeordneter der Knesset in seinem Arbeitszimmer im Parlamentsgebäude. Hason folgte Sharon aus dem Likud zu Kadima und dann Livni zu HaTnua. Heute sitzt er für das Parteienbündnis Zionistisches Lager auf der Oppositionsbank. Hason glaubt, dass es mutigeren politischen Führern auf beiden Seiten gelingen würde zu einer Friedensvereinbarung zu kommen.
Den Siedlungsbau sieht er auf jeden Fall nicht als das grosse Hindernis einer Zwei Staaten Loesung an. Die Israelis haetten mehrfach unter Beweis gestellt, dass sie bereit seinen, Land fuer Frieden zu tauschen. Der Weg zur Zwei-Staaten-Lösung sei im Grunde vorgezeichnet, sagt er. Es fehle nur auf Seiten der fuehrenden Politiker auf beiden Seiten der Mut ihn auch zu begehen.
Die Produktkennzeichnung hält er indes für einen großen Fehler der EU.
Die Produktkennzeichnung stehe im Interesse derer, die gegen Frieden und Einigung seien. Der Einseitige Druck auf Israel würde die Weigerung der Palästinenser zu verhandeln weiter bestärken. Und die Israelis, so warnt es, würden die Kennzeichnung von Produkten aus den besetzten Gebieten als Israel-Boykott wahrnehmen und sich in der Ansicht bestärkt fühlen, dass alle Welt gegen sie sei. So sei kein Friede zu machen.

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Den grundsätzlichen Wunsch einer friedlichen Lösung des Israelisch-Palästinensischen Konflikts im Rahmen einer Zwei-Staaten-Lösung teilen 2/3 der Israelis. Trotzdem ging Netanyahu 2015 mit seinem offiziellen Nein zu einer Zwei-Staaten-Lösung als Sieger aus der Wahl hervor. Bestsellerautor Nir Baram analysierte, dass es Netanyahu gelungen sei, seine politische These, nach der es keine Lösung für den Nahostkonflikt gebe, als Realität zu verkaufen. Gideon Levy analysierte, dass jahrelange Gehirnwäsche und Hetze einen erheblichen Teil der Israelis von der Realität losgelöst hätten. Und die Schriftstellerin Aloa Kimchi nach der Wahl an die Wähler Netanyahus: “Lang lebe die Dummheit, die Bosheit und die falsche Weltanschauung. Trinkt doch Zyanid, ihr Neandertaler.”
Meine Nachbarn stehen fuer diese manipulierten Neandertaler, die Netanyahu wählen. Nicht weil sie gegen einen palästinensischen Staat sind, sondern weil sie Israel nicht in den Händen der „naiven Linken“ sehen wollen. Sie sind tunesischer, irakischer, jemenitischer und libyscher Abstammung und Traditionen, wie dem Sabbat herzlich verbunden.
Ihr Interesse an Politik ist gering. Als Israel im Vorfeld der letzten Friedensverhandlungen Terroristen frei ließ, wurden meine Nachbarn zornig. So lange in palästinensischen Kindergärten, Schulen Medien und Moscheen der Hass auf Juden gepredigt werde, glaube er tatsächlich nicht an eine Lösung für den Nahostkonflikt, sagt Avi, dessen Eltern aus dem Irak nach Israel geflohen sind. Die Forderung nach einer Rückkehr für die palästinensischen Flüchtlinge hält er für absurd. Der Zahl der Araber, die im Zuge der israelischen Unabhängigkeit aus Israel geflohen seien, stehe eine ebenso große Zahl von Juden gegenüber, die aus den arabischen Ländern nach Israel geflohen seien.

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Taybe

Als wir ein Arbeitskollegin von Keren in der arabischen Stadt Taybe unweit der Sperranlage besuchen, warnt er uns. Die Kollegin ist geschieden und wohnt mit ihren Kindern im Haus ihrer Eltern. „Was soll man machen“ meinte der Vater dazu. Im obersten Stock des Hauses wohnt sein zweitältester Sohn mit Frau und Kindern. Die Frau war ursprünglich mit seinem ältesten Sohn verheiratet und im achten Monat schwanger als dieser im Kugelhagel einer Vendetta gestorben ist. „Was soll man machen“ meinte der Vater auch dazu und zeigte auf das große Bild seines verstorbenen Sohnes im Wohnzimmer.
Bei einem Baklava Bäcker der Stadt meint die Arbeitskollegin von Keren, dass sie lieber in Ramat Gan als in Taybe wohnen würde. Weg von der sozialen Kontrolle. Dann hat sie uns anvertraut, dass sie einen Freund in Tulkarem hat, von dem ihre Eltern nichts wissen. Eine verzwickte Beziehung, um es einmal vorsichtig auszudrücken. Während sie als arabische Israelin ihn jederzeit besuchen kann, hat er keine Erlaubnis, nach Israel zu gelangen.
Nach einer kurzen Stadtführung setzen wir sie am Checkpoint ab. Auf der anderen Seite wartet ihr Freund. Liebend gern, sagt sie, würde er die Gebiete verlassen. Wie sein Bruder, der in einer israelischen Gärtnerei arbeitet und eine unter den Palästinensern so begehrte Arbeitserlaubnis für Israel besitzt. Der Freund spricht fließend hebräisch. Als Automechaniker sind viele seiner Kunden israelische Siedler. Die Arbeitskollegin von Keren interessiert sich nicht groß für politische Hintergründe.
Ihr größter Horror wäre eine Zwei-Staaten-Lösung, die Taybe im Zuges eines Gebietsaustausches Palästina zuschlagen würde.

Altstadt Jerusalem
Altstadt Jerusalem

Ich hatte vor einigen Jahren Jahren die Gelegenheit mich mit dem Besitzer des Hebron Hostel (ehemals Tabasco Hostel) in der Altstadt Jerusalems zu unterhalten. Ein Mann, der alle Buchreligionen wertschätzt, Israel hasst, und die Briten dafür verachtet, die Zionisten bei der Kolonialisierung Palästinas unterstützt zu haben. Der gute Mann, verheiratet mit einer Frau in Ostjerusalem und einer weiteren Frau in Ramallah, bot Tagesausflüge in palästinensische Flüchtlingslager an. Obwohl er dafür, nach eigener Aussage, einige Male von israelischen Soldaten angeschossen worden sei. Doch der Tag, an dem der palästinensische Widerstand sich der Zionisten entledigen würde, so versprach er, würde kommen.
Eines Abends beklagte der Religionsgelehrte, dass er beobachte, dass sich manche Christen nicht die Hände waschen würden, bevor sie die Bibel in die Hand nehmen würden. Den heiligen Büchern, so mahnte er an, sei höchste Ehrerbietung entgegenzubringen. Ich habe den Religionsgelehrten gefragt, ob es denn keine Entehrung des Koran bedeutete, wenn er sich in der Hand von Selbstmordattentätern befände, wie das so oft in den Bekennervideos zu sehen sei. Er antwortete mit einem klaren Nein. Dies zu verurteilen würde den Widerstand gegen die Verbrechen gegen das palästinensische Land und das palästinensische Volk diskreditieren.

hebron
Juden in Hebron

Einen authentischen Eindruck vom Verbrechen gegen palästinensisches Volk und Land habe ich in Hebron gewonnen, wo inmitten der Stadt eine jüdische Siedlung liegt, die von einer Sperrzone umgeben ist und ehemals belebte Marktstraßen zu verlassenen Orten gemacht hat. Hebräische Graffitis bezeugen Übergriffe von Siedlern. Ich war dort mit einem amerikanischen UN-Mitarbeiter aus einem Flüchtlingslager in Jenin, der mir zu den Untaten der Siedler und der Armee gegen die Palästinenser einige Auskunft geben konnte. Manches davon zutreffend und beschämend, anderes, wie ich später in Erfahrung gebracht habe, Propaganda. Dämonisierende Propaganda, wie sie heute auf Spaziergängen mancher israelischen Menschenrechtsorganisationen betrieben wird.
Als wir in Hebron auf die Frage nach unserer Herkunft mit Amerika und Deutschland antworten, wurde ich lachend angekumpelt “Oh German. Why didn’t you finish the job?”Mein amerikanischer Flüchtlingshelfer mit dem ich in Hebron unterwegs war, wusste indes auch Sympathiepunkte bei den locals zu sammeln. Als er nach einer Zigarette gefragt wurde, fischte er eine Next aus der Schachtel und gab dieser noch einen Witz mit, den er im Flüchtlingslager aufgeschnappt hat. Billig und leicht anzuzünden – wie israelische Soldaten. Die Palästinenser haben sich diebisch gefreut und danken uns “friends of Falestine” zu sein.

Ich habe viele Orte in der Westbank besucht. Hebron, Jericho, Ramallah, Bethlehem, Nablus. Überall bin ich den Jungs begegnet, die auf einen zukommen und Deutschland loben und den Juden das Recht auf eine Heimstätte in Palästina absprechen. In ganz Palästina.
In Ramallah erinnere ich mich an zwei junge Kerle, die mich zum Essen eingeladen, Deutschland gelobt und mich anschließend gebeten haben, sie nach Ost-Jerusalem zu begleiten, um von dort nach Bethlehem zu gelangen. In Begleitung eines Deutschen würden sie an den Checkpoints nicht drangsaliert und könnten sich so den langen Umweg ersparen, der die Checkpoints umgehen würde. Sie lobten die palästinensische Küche und deutsche Pornos. Einer von den Beiden zeigte mir einen Ring, den er, ein Muslim, für seine Freundin, eine Christin, gekauft habe. Eine gefährliche und entsprechend geheim gehaltene Beziehung. Eine aussichtslose Zukunft in Palästina, wie er auf Rückfrage zugab.

Ost-Jerusalem

Ich habe mich im Spätsommer 2014 auf einige Diskussionen mit israelischen Linken eingelassen. Tuvia Tenenbaums Buch „Allein unter Juden“ sorgte in diesen Kreisen für einiges Aufsehen. Vielfach wurde das Buch als Teil rechter Verschwörung gebrandmarkt. Da ich Tuvia Tenenbaum persönlich kenne weiß ich, dass sich ihm die Dämonisierung Israels von Seiten auslandsfinanzierter israelischer Menschenrechtler tatsächlich aufgedrängt hat. Entsprechend widersprach ich, so gut ich konnte, den Vorwürfen der vorsätzlichen Manipulation. Dies brachte mir meist den Vorwurf ein, der Delegitimation des Protests gegen die Besatzung das Wort zu reden. Passte ganz gut in mein Dilemma als Antideutscher in Israel von radikalen Linken stets als Rechter verschrien zu werden.

© Florian Krauss
© Florian Krauss

Ich habe von der Holocaustleugnung Ataf Abu Rubs, eines Guides der Menschenrechtsorganisation B’Tsalem gehört, bevor die Geschichte groß in die Medien kam. Abu Rub war Zuträger von Gideon Levy, der manche seiner Artikel auf dessen Aussagen gründete. Als ich im kleinem Kreis davon erzählt habe, wurde vehement abgestritten, dass jemand, der Gideon Levy zuarbeitet, antisemitisch sein könnte.  Die gleichen Leute haben noch moniert, dass Israelkritik  immer als Antisemitismus diskreditiert würde, als die Holocaustleugnung Abu Rubs den Medien auf Band vorlag.

Siedlungsbau (Ma'ale Adumim)
Siedlungsbau (Ma’ale Adumim)

Mit einer israelischen  Menschenrechtsaktivistin stand ich eine Zeit lang in Kontakt. Die gute Frau stammt aus Deutschland und war bei der Rosa Luxemburg Stiftung aktiv. Sie ist sehr engagiert in den sozialen Medien.
Drei Auszüge aus unserem Schriftverkehr um etwas in die Gedankenwelt jener Menschen einzuführen, die in Deutschland stets als die Stimmen der Vernunft in Israel gelobt werden.
Über eine von der Rosa Luxemburg Stiftung mitgetragene Veranstaltung an der Birzeit Universität in Ramallah, zu der keine jüdischen Israelis zugelassen waren:
„es geht hier nicht darum Juden zu diskriminieren, sondern Grenzen zu Israel zu ziehen und dessen Politik, die nunmal faschistisch von den jüdischen Israelis gemacht wird“
„erst wenn Israel sich den Arabern gegenüber korrekt verhält, kann man von den Arabern dasselbe erwarten. Bis dahin habe ich vollstes Verständnis für einen Boykott“
Über Tuvias Buch:
„nein, ich halte das für Zeitverschwendung… ich sehe die Realität und beschäftige mich mit der anstatt rechtes Gedankengut zu lesen“
„die rechte Propaganda, die suggeriert, dass Israel bedroht sei und sich zu verteidigen habe… so fing es in Dland auch an und die Menschen haben es geglaubt.““
Auf meine Bemerkung, dass ich in den palaestinensischen Gebieten krassen Judenhass wahrgenommen habe:
„ich sage nicht, dass es den nicht gibt. Allerdings sollte man vielleicht erst einmal die Missstände beseitigen, um dann zu sehen, wieviel von dem Judenhass dann überhaupt noch da ist.“

Gilo
Gilo

Das Problem sei nicht die israelische Siedlungspolitik, sondern die palästinensische Weltanschauung, sagt Benni, der in Gilo lebt, einem jüdischen Stadtteil in Ostjerusalem. Fast 30.000 Juden leben in dem Stadtteil, der das Zentrum Jerusalems überblickt und nach jedem halbwegs vernünftigen Teilungsplan bei Israel verbleiben wird. Gleichwohl löst jede Bautätigkeit in Gilo international Entsetzen aus.  Auch für meine linken Freunde ist der Sohn rumänischer Einwanderer ein Siedler. „Von der Realität abgekoppelt“ sagt Benni dazu nur knapp.
Ein Staat Palästina sei nach moralischen Gesichtspunkten zu unterstützen, käme aber einem Selbstmord des jüdischen Staates gleich, sagt er. Die Palästinenser würden sich in die jüdischen Viertel Jerusalems graben, sobald sie einen eigenen Staat hätten, ist er sich sicher. Benni gehört zu der Mehrheit der Likud Wähler, die gegen eine Zwei-Staaten-Lösung sind.
Hinsichtlich bestimmter Themen wie der Grenzen von 67 und Jerusalem sollte Israel keine Verhandlungsbereitschaft zeigen, sondern im Gegenteil endlich rote Linien ziehen. Friede sei – wenn überhaupt – dann nur aus einer Position der Stärke möglich. Ein palästinensischer Staat an der Seite Israels wäre für die israelische Wirtschaft gefährlicher als jede Boykott- und Sanktionskampagne. Wenn Israel gezwungen würde, sich hinter die Grenzen von 1967 zurückzuziehen (die er als Auschwitz-Grenze bezeichnet) und hunderttausenden palästinensischen Flüchtlingen ein Rückkehrrecht zugesprochen würde, wäre dies das Ende des jüdischen Staates.

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Quer durch den Nahen Osten zerfallen Staaten und versinken im blutigen Chaos, sagt er. Er ist der Meinung, das ein palästinensischer Staat dieses Chaos nicht lindern, sondern bis an die Tore Tel Avivs, Jerusalems und des Ben Gurion Flughafens bringen würde.

Der Berg Bental auf den Golanhöhen, wenige Meter von der Grenze zu Syrien entfernt, gibt bei klarer Luft einerseits den Blick bis tief hinein nach Syrien und bis hinauf in den Libanon frei und auf der anderen Seite bis hin zum See Genetsareth. An einem der klarsten Tage des Jahres zeigt Omer Wiener auf, warum Israel nicht Europa sei, wie er sagt. Omer kämpfte im Sechs-Tage-Krieg in Samaria und schloss sich nach seiner Entlassung  einer Gruppe von Israelis an, die zur Befestigung der strategisch bedeutsamen Golanhöhen den Kibbuz Merom Golan an der Waffenstillstandslinie zu Syrien nahe der syrischen Stadt Qunteira errichteten. Omer wurde Cowboy und blieb dies mit Unterbrechungen bis heute. Auf dem Bental Berg, unweit des Kibbuz, erklärt er, angefangen von klar sichtbaren Berg Hermon die Grenze entlang zeigend, wo die Hisbollah Gebiete kontrolliert und wo die Rebellen. Anfang des Jahres habe man mit blossem Auge eine Al-Kaida Fahne wehen sehen können.  In seine Erzählungen mischt sich mehrfach das aus Syrien hallende Krachen von Mörsereinschlägen. Manchmal ist der Rauch zu erkennen, der über den Einschlagstellen aufsteigt. Während seiner Ausführungen kommen zwei UN-Beobachter um ihre Stellung auf dem Berg zu beziehen. Omer kann es sich bei ihrer Positionsbeziehung nicht verkneifen, den Kopf zu schütteln.

Parallel zu den Verhandlungen mit den Palästinensern wurde 2000 mit Syrien über eine Rückgabe des Golan verhandelt. Für Omer Wiener und seine Familie im Kibbuz Merom Golan an der Grenze zu Syrien haette dies nach mehr als 30 Jahren bedeutet, den Kibbuz räumen und ihre Häuser an die Syrer abtreten zu müssen. Doch die Bewohner von Merom Golan, einer Hochburg der Arbeiterpartei, lehnten sich nicht gegen die Verhandlungen, über deren Ergebnis es ein Referendum geben sollte, auf. Auch nicht, als es so aussah, dass die Gespräche mit den Syrern Früchte tragen würde. Für den Frieden, so versichert der Cowboy Omer, hätten sie den Kibbuz geräumt.
Dann zeigt er auf das Schlachtfeld jenseits der Grenze und erklärt, dass sich die Israelis angesichts der blutigen Realität in der muslimischen Welt keine Experimente erlauben dürften.

UNDOF an der isr.-syr. Grenze
UNDOF an der isr.-syr. Grenze

Bei einer Veranstaltung mit Ben-Dror Yemini und Tuvia Tenenbom über die Delegitimation Israels sagte der israelische Journalist Ben-Dror Yemini, das er selbstverständlich zu den Menschen gehöre, die sich Frieden wünschten. Er sehe auch die absolute Notwendigkeit einer Zwei-Staaten-Lösung, da die Beibehaltung des Status quo zu einem bi-nationalen Staat führe, der Israel als jüdischen und demokratischen Staat gefährdet. Er sehe aber nicht, so Dror-Yemini, wie die Zwei-Staaten-Lösung realisierbar sei.

Die Rechten haetten kein Herz sagt er und die Linken keinen Verstand.

Fortsetzung: Zwei-Staaten-Lösung pt. 2. Besuch bei den Siedlern von Gush Ezion

Text: Oliver Vrankovic

Bilder: Oliver Vrankovic