Millionen Opfer klagen an!

„ Millionen Opfer klagen an!“ war der erste Artikel über Auschwitz in deutscher Sprache. Er wurde von Lothar Lösche verfaßt, einem evangelischen Theologen, der als Frontbeauftragter des Nationalkommitees Freies Deutschland mit der 1. ukrainischen Front auf Auschwitz vorrückte. Er war nach Aussage seines Sohnes Thomas  wohl der einzige Deutsche, der auf Russischer Seite an der Befreiung mitwirkte. Veröffentlicht wurde der Artikel in der Frontzeitung (wurde über der deutschen Front abgeworfen) „Freies Deutschland“

Gastbeitrag von Thomas Lösche über seinen Vater nach dem Exzerpt

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“Millionen Opfer klagen an!” (Exzerpt)

Auschwitz – ein Städtchen an der Weichsel, in der Nähe von Krakau – ist zum Begriff geworden, zum Inbegriff aller Verbrechen, die Adolf Hitler und Himmler und ihre ausführenden Organe der SS und Gestapo an Millionen unschuldiger Menschen verübt haben.
Noch weiß es die Welt nicht, was hier geschah. Nur spärliche Nachrichten sind im Laufe der Jahre aus den KZ-Lagern von Auschwitz nach außen gedrungen und ließen nur ahnen, dass hier Millionen hinter Stacheldraht zu Tode gemartert wurden. Aber es befinden sich noch ca. 4.000 ehemalige Häftlinge aus allen Nationen Europas im Lager, zum größten Teil kranke, durch die Vernichtungsmethoden der SS geschwächte und ruinierte Menschen, die durch ein gütiges Schicksal, durch Flucht oder Versteck, hauptsächlich aber durch den überraschenden Vorstoß der Roten Armee dem sicheren Tod entgangen sind. Sie sind die überlebenden Zeugen einer Menschenvernichtungsfabrik, deren Schande zum Himmel schreit.

Es gab zu allen Zeiten Verbrechen, von denen sich die Welt mit Abscheu abwandte. Es gab Christenverfolgungen und mittelalterliche Folterqualen und in der neuesten Zeit erfuhr die Öffentlichkeit von den Todeslagern von Kiew, Odessa, Minsk und Maidanek. Was aber hier in Auschwitz geschah, stellt all das Bisherige in den Schatten.

Kinder und Kindeskinder werden nach uns in den Schulen und aus den Geschichtsbüchern davon erfahren, Generationen werden erschauern vor dem, was der Geist der Unmenschen hier an bestialischen Grausamkeiten ersann. – Und wir Deutschen ? Wie sollen wir je diese Schuld und Schande auslöschen, die Adolf Hitler mit dem Zeichen des Hackenkreuzes und der SS-Rune unserem deutschen Namen für die Zukunft eingebrannt hat?

Wenige Tage, nach dem die deutschen Truppen auf Ihrem Rückzug Auschwitz verlassen haben, komme ich mit einer Abordnung in der Stadt an, um mich persönlich von der Art der dortigen KZ-Lager zu überzeugen. Es gibt in der Umgebung vier große Lager neben einer Reihe von kleineren. Das Lager „Auschwitz Stadt“, dass allgemein als Musterlager gelten sollte, besteht ausschließlich aus zweistöckigen Steingebäuden und gleicht einer riesigen Kasernenanlage, während andere Lager nur dürftige Holzbaracken besitzen. In ihrer Art jedoch, als Stätten zum alleinigen Zwecke der Massenvernichtung von Menschenleben, sind sie untereinander gleich. Über ihrem Eingang prangt groß die zynische Aufschrift „Arbeit macht frei“.

Schreiten wir durch die Pforte des Elends- in das Lager Birkenau, das drei Kilometer von Auschwitz entfernt liegt. Wie eine einförmige Stadt- Holzbaracke an Holzbaracke, eine nach der anderen ausgerichtet, mit Kilometern von Umzäunungen, doppelt gesichert durch Hochspannung und Stacheldraht- breitet sich das Lager vor unserem Blick aus. Schnurgerade Strassen, die sich sämtlich im rechten Winkel schneiden, teilen das Lager in über fünfzig Abschnitte. Weit im Unkreis ragen in regelmäßigen Abständen warnend und drohend die Wachtürme über die Umzäunung hinaus.

Ich sehe ein Gewimmel von Leuten. Es sind aber nur Schatten von Menschen. Es sind die Scharen von Elenden, ausgehungerte und abgemagerte Frauen und Männer – die Überlebenden!
Hohläugig und verstört blicken sie uns an. Manche lächeln, als ob sie kaum das Glück begreifen könnten, dass sie nun befreit sind. Frauen brechen auf der Strasse in lautes Weinen aus, zeigen uns ihre Wunden und Male, die man ihnen geschlagen hat, weisen auf ihr Haar, das schneeweiß geworden ist, erzählen stammelnd von Leid und Todesqual. Ein Bild des Jammers, das sich uns bietet. Hier spielte sich die Tragödie, das Martyrium von Millionen von Menschen ab.

Lassen wir uns führen und erzählen von einem ehemaligen Häftling, der sich seit dem 6.VI.42 hier im Lager Birkenau befindet. Er ist ein Lehrer aus Radom und fand während seines Aufenthaltes im Lager als Schreiber „Verwendung“. Mit nüchternen Worten berichtet er:
„Ich habe über zwei Jahre alles miterlebt und durch meine Hände gingen die Papiere von Tausend und Abertausend Gemordeten. Sehen Sie, hier ist der Appellplatz eines Lagerabschnittes. Hier standen in Reih und Glied jeden morgen von 4-6 Uhr die Häftlinge zum Morgenappell. Dort in diesem Haus war die SS mit ihren großen Wolfshunden untergebracht“.

„Wozu die Hunde?“ frage ich.
„Die Hunde bewachten uns vom Morgenappell bis zum Abendappell. Eine Bewegung im Glied, wenn wir angetreten waren, oder ein zu langsames Arbeiten draußen im Außenkommando, konnte zur Folge haben, dass man von den aufgehetzten Hunden zerrissen wurde, wenn man nicht so wie so vom Capo totgeschlagen wurde.“

„Wer ist der Capo?“
„Capos sind von der SS eingesetzte Häftlinge, die besondere Vorrechte hatten, sich aber diese Verdienen mussten……
Die Capos hatten ein Kommando im Lager oder auf der Arbeit draußen. Es gab oft Zeiten, in denen der Capo den Auftrag hatte abends zum Appell 50, manchmal 100 Tote zu melden. Die Toten wurden vom Arbeitsplatz wieder zum Appellplatz getragen, bzw. mit LKW herangefahren. Dann wurden sie im Krematorium verbrannt…..“

„Welche Methoden waren es hauptsächlich, durch die man hier diese armen Menschen zugrunde gerichtet hat?“
„Zunächst hat die mangelhafte Ernährung dazu beigetragen, dass der Mensch langsam und zusehends schwach wurde. Früh wurde der Kaffee am Ende des Morgenappells im Stehen eingenommen. Das Mittagessen war nur eine dünne Wassersuppe – pro Mann ein halber Liter. Abends bekamen wir 20g Margarine, bzw. 20g Käse oder Wurst zum Brot und einen halben Liter Tee. Brot gab es 300g am Tag. Sie können verstehen, dass bei einer solchen Verpflegung die Arbeit auf Dauer unserer eigenen Vernichtung diente. Wir mussten von früh 6 Uhr bis abends 6Uhr arbeiten, waren aber hinterher noch stundenlang durch Appelle und anderen Lagerdienst auf den Beinen. Es gab Appelle bis zu 36 Stunden. Unsere Arbeit war zumeist völlig sinnlos, sie war ausgesprochene Schikane. Ich weiß, dass bei Regulierungsarbeiten Häftlinge massenhaft wegen mangelhafter Bekleidung zugrunde gingen. Da es keine Socken gab, rieben sich viele im kalten Wasser offene Wunden an den Füßen. Bei den meisten entstand Phlegmone. Viele gingen an dauerndem Durchfall, an der Ruhr oder an Typhus zugrunde. Krankgeschrieben wurde man erst dann, wenn man umfiel und hohes Fieber hatte. Krankheit war aber auch gleichbedeutend mit Tod. Es gab zwar große Krankenbaracken, aber jeder wusste: der Weg ins Gas geht übers Spital. Denn wer nicht mehr voll arbeitsfähig war, musste jederzeit mit Tod durch Vergasung rechnen.

Eine andere Art der Vernichtung war der Sport als Quälerei, neben einer Unmasse anderer sadistischer Methoden.
„Sport“ war Strafe z.B. für „verspätetes Heraustreten“, für nicht exakt ausgeführtes Abnehmen und Aufsetzen der Mütze und ähnliche „Vergehen“. Unter der Leitung von SS-Männern mussten wir mit einem schweren Stein in den Händen hunderte von Kniebeugen machen oder im Schlamm kriechen, bis wir oft in Ohnmacht vielen. Dabei erhielten wir mit Knüppeln Schläge auf den Kopf. Es gab Capos, die mit zwei oder drei Schlägen ins Genick einen Mann töteten. Von allen gefürchtet war das sogenannte „Knick-Knack“, das unzählige Male von sadistischen Elementen mit einer teuflischen Freude ausgeführt wurde. Der Häftling musste sich auf den Rücken legen. Quer über den Hals kam ein Spatenstiel zu liegen, auf dessen beide Enden je ein Capo trat, bis das Opfer erstickt war. Dies habe ich aber nicht nur selbst häufig gesehen, sondern Sie können hier jeden ehemaligen Häftling fragen. Jeder hat dies persönlich selbst oft genug erlebt.“

Mir zittern die Knie, als dieser Lehrer aus Radom ununterbrochen mir zahlreiche, andere Einzelheiten über die Methode der Menschenvernichtung berichtet. Grauenhafte, an dieser Stelle nicht zu schildernde Erlebnisse, die mir von anderen Häftlingen hundertfach bestätig wurden….

„Im Sommer 42 kamen große Transporte aus Belgien, Holland und Frankreich, die ebenfalls gleich vergast wurden. Im Frühjahr 43 wurden etwa 50.000 griechische Juden aus Saloniki ins hiesige Krematorium gebracht. Von etwa 16.000 russischen Kriegsgefangenen sind nicht mehr als 96 Mann übrig geblieben. Seit April 1943 wurden in der Hauptsache nur noch Juden vergaßt….Ab ersten August 1943 brannten die Öfen wieder Tag und Nacht. Riesentransporte von Juden aus Polen, im März 44 aus der Tschechoslowakei und später die Ungarn und die Zigeuner – alle wurden sie mit der gesamten Familie sofort dem Krematorium zur Vergasung übergeben. Die Polen wurden fast durchweg erschossen, besonders die Offiziere. Bekannt war der Block 11, wo der Genickschuss an lebenden Opfern von der SS direkt exerziert wurde. Manchmal wurden allein auf diese Weise am Tag bis zu 200 Menschen getötet. Ja, der berüchtigte Unterscharführer Moll fand besonders Vergnügen daran, Frauen und Kinder als Zielscheibe für Pistolenschiessen zu benützen. So gingen durch die verschiedensten Methoden täglich Tausende zugrunde. Wir hatten Zeiten, wie z.B. im Sommer 1944, wo in jeder Baracke bis zu tausend Menschen zusammengepfercht waren und sich allein im Lager Birkenau 400.000 Menschen befanden. Es kamen aber immer mehr neue Transporte hinzu. Damals arbeiteten die vier Krematorien Tag und Nacht. Der Geruch von verbranntem Fleisch verbreitete sich kilometerweit. Zur Einweihung eines Krematoriums war Himmler selbst anwesend. Probeweise wurden an diesem Tag 14.000 Leichen verbrannt. Nach seinem Besuch wurden die Krematorien erweitert und ausgebaut. Zu bestimmten Zeiten reichten aber auch diese vier Krematorien nicht aus, so dass die Menschen in Gruben auf Teerbalken verbrannt wurden. Am 17. September 1943 war ein Rekordtag, wo 17.000 Menschen vergast und verbrannt wurden. Sonst wurden im Allgemeinen bei Hochbetrieb 12.000 Menschen täglich vernichtet. Die Gesamtzahl der in Auschwitz Gemordeten wird auf viele Millionen geschätzt.“

Mein Begleiter verabschiedet sich von mir. Ich gehe weiter, ohne das eben Gehörte in seine vollen Tragweite und Bedeutung richtig begriffen zu haben. Das alles stürzt über mich herein – zu plötzlich, zu unbegreiflich. Gefühle der Empörung und tiefster Beschämung überwältigen mich. Alle ehemaligen Häftlinge, mit denen ich noch spreche, vertiefen und vervollständigen durch ihren Bericht diesen Eindruck des Grauenvollen, Unfassbaren. Ganz gleich ob ich mich mit Juden oder Christen, Nationalisten oder Kommunisten unterhalte – sie sagen alle dasselbe. ….

Ich habe Gelegenheit gehabt, mit verschiedenen Ärzten und bekannten Wissenschaftlern zu sprechen, die gleichfalls als Häftlinge in den Krankenbaracken tätig waren. Sie hatten während dieser Zeit Einblick in Methoden, die hier durch Vivisektion wissenschaftlichen Versuchszwecken dienen sollten. Dr. Fischer, Professor und Dozent an der psychatrischen Klinik in Prag, erzählt mir, dass in häufigen Fällen künstliche Phlegmone auf lebenden Menschen gezüchtet wurden. An einer großen Zahl junger Menschen zwischen 18 und 20 Jahren, wurden auch Kastrationen und Sterilisierungen vorgenommen- und zwar nur stufenweise, um festzustellen, in welchem Grad Veränderungen in der menschlichen Drüsenfunktion auftreten. Viele sind auf diese Weise viermal sterilisiert worden, um später – körperlich völlig ruiniert – vergast und verbrannt zu werden.
Bei jungen Männern wurden bei dieser Gelegenheit durch absichtlich unsachgemäße Röntgenbestrahlung schwere Verbrennungen hervorgerufen. Dagegen gibt es bekanntlich kein schmerzstillendes Mittel. Die Männer wurden dadurch geh,- und arbeitsunfähig, infolgedessen wurden sie dann ins Krematorium gebracht. Ferner wurden in zahlreichen Fällen bei Frauen äußerst schmerzhafte Eingriffe vorgenommen, um die Gebärmutter zu photographieren, Experimente am Eierstock auszuführen, an deren Folgen die meisten Frauen und Mädchen starben, oder es wurden zum Zwecke der Krebsforschung, bei Lebenden Krebszelleneingesetzt, Teile der Gebärmutter operativ entfernt und ähnliche Versuche mit lebenden Menschen angestellt. Häufig wurden Menschen von Einspritzung von Phenol, aber auch mit Benzin, Petroleum und Urin getötet. Oft war Dr. Fischer Zeuge, wie man von Leuten mit günstigen Blutgruppen das Blut auffing, bis sie – völlig blutleer – entschliefen, um es dann an die Front oder in Kriegslazarette zum Zwecke der Blutübertragung bei Schwerverwundeten zu schicken. Offenbar spielte hier die Frage – ob arisches oder jüdisches Blut – keine Rolle.

Die Verantwortung für diese gesamten Maßnahmen der Vivisektion, sowie der Vergasung und Verbrennung im Lager Auschwitz trug Dr. Mengele. Dr. Fischer berichtet, dass Dr. Mengele einmal gefragt wurde, wie er das alles mit seinem Gewissen vereinbaren könne, worauf er antwortete:“ Mein Gewissen ist Adolf Hitler!“….

Aber was hatten die Opfer verbrochen ? Der bekannte Pharmakologe und Dozent für innere Medizin an der Universität Zagreb, Dr. Max Grossmann, antwortete mir auf diese Frage:
„Als ich von der Gestapo festgenommen wurde, fragte ich auch nach dem Grund, da ich doch nichts verbrochen habe. Man gab mir zur Antwort: „Nein, verbrochen haben Sie nichts! Aber Sie sind doch Jude, genügt das nicht?“…..

Jetzt bin ich in einem großen Raum im Kellergeschoss des Krematoriums. Dort, wo die Menschen zusammengetrieben wurden: Der Auskleideraum! Dann geht es in eine große hell erleuchtete, saubere Halle. Angeblich der Waschsaal. Für die Uneingeweihten sind Aufschriften angebracht: „Vergiss Handtuch und Seife nicht!“ Der Eingeweihte aber weiß: Es ist die Gaskammer, die Leichenkammer. Bis zu Tausend Menschen und mehr, so dass sie gerade noch stehen können, werden dort hineingepresst. Die eisernen Türen mit Gummidichtungen schließen sich. In der Decke ist eine Vorrichtung angebracht, durch die von außen her das Cyklongas – HCN – in den Raum strömt. Der Todeskampf währt ca. zehn bis fünfzehn Minuten. Er wird von entmenschten SS-Kreaturen oft genug durch ein gasdichtes Guckfenster beobachtet. Die verzerrten Gesichtszüge der verkrampften Leichen zeugen davon, wie schwer der Todeskampf war. Dies hängt auch sehr von der Qualität des Gases ab, die oft sehr verschieden ist. Manchmal genügt die Gasmenge nicht einmal, einen Menschen zu töten. Dann wird er eben nur als Bewusstloser verbrannt. Mittels elektrischer Aufzüge werden die Leichen aus der Gaskammer in die Ziegelöfen des Krematoriums gebracht.

Ich stehe an dieser Stätte des Grauens und des Todes, an dem Ort, der noch vor kurzer Zeit die Luft weithin mit Schreien und Jammern sterbender Menschen erfüllte und von dem aus nachts die Brandfackeln des Todes geisternd in das Dunkel des Himmels ragten. Heute ist dort nur noch ein Haufen Schutt und Asche zu sehen. Die Krematorien sind niedergerissen. Das Klagen der Sterbenden ist verstummt.
Um so lauter und deutlicher vernimmst du jetzt die Anklage! Die Überlebenden klagen an! Die Millionen Gemordeter klagen an! Dich und mich! Die ganze deutsche Nation!
Die wahren Schuldigen sind zwar erkannt. Alle Aufschriften des Lagers, alle Inschriften und Dokumente tragen die SS-Rune.
Trotzdem die meisten Deutschen nichts gemein haben mit den teuflischen Werken von Auschwitz und anderen Todeslagern, bleibt aber doch ein Makel an unserem deutschen Namen haften.
Ging diese Saat nicht auf im deutschen Volk? Duldeten wir sie nicht? Nährten wir sie nicht?
„Irret euch nicht, Gott lässt sich nicht spotten, denn was der Mensch sät, dass wird er ernten.“

Es ist jetzt die Zeit der Ernte, Tag des Gerichts. Wir, alle Deutschen, sind mitgerufen in die Reihen der Schnitter. Wir müssen selbst die Schande tilgen, die auf uns allen lastet.

Lothar Lösche
NKFD Frontbevollmächtigter

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Thomas Lösche über seinen Vater:

Mein Vater wurde am 7.5.1911 in Ortmannsdorf in Sachsen (heute OT von Zwickau) geboren. Für meinen Vater folgten nach der Schule Theologiestudium in Leipzig und Tübingen. Anschl. Arbeitsdienst (freiwillig) und Vikariat in Lauter (Erzgeb.).
Mein Vater „rannte“ dem Wehrkreiskommando die Türen ein, weil er unbedingt Soldat sein wollte, aber 1938/39 war er eigentlich schon zu alt um sofort eingezogen zu werden. Es gelang ihm aber, so dass er am sog. Frankreichfeldzug beteiligt war. Vorher in Belgien stationiert. Später auch in Polen und dann am Krieg mit der Sowjetunion beteiligt. Dort vorrangig im Südabschnitt (Ukraine, Insel Krim, Kiew). Er wurde an der Front wegen besonderer Tapferkeit zum Offizier befördert.

Mein Vater wurde im Februar 1943 von sowjetischen Soldaten gefangen genommen, nachdem er in seinem Unterstand nach tagelangen, schweren Kämpfen eingeschlafen und die russische Front über ihn hinweggerollt war. Der Unterstand war ein Kartoffelloch (sog. Kartoffelmiete) und als er erwachte knieten russische Soldaten auf ihm. Eine Leiter führte nach oben. Mein Vater glaubte der deutschen Propaganda, dass die Russen keine Gefangenen machen. Man hatte vergessen ihm vom Gürtel die Handgranaten abzumachen. Beim Aufstieg nach draußen versuchte er noch schnell eine Handgranate zu zünden um sich und die um ihn befindlichen Russen zu töten. Ein russischer Soldat, der hinter ihm ging, konnte das Schlimmste noch im letzten Moment verhindern.

In der Gefangenschaft wurden dann von sowjetischen Politoffizieren Mitarbeiter für das im Juli 1943 gegründete NKFD gesucht.
Nach den Worten meines Vaters hatte er in der Gefangenschaft die Aussichtslosigkeit des Krieges und die Sinnlosigkeit seines Soldatentums erkannt. Vor allem die tausenden von deutschen Gefangenen, die in einem erbärmlichen Zustand in Gefangenschaft gerieten.
Vom „Saulus zum Paulus“ gewandelt wollte mein Vater dann doch noch irgendwie etwas wieder gut machen. Er machte also beim Bund deutscher Offiziere und beim NKFD mit als Frontbevollmächtigter. Das hatte er sich selbst ausgesucht, oder erbeten. Denn er wollte sein Leben unmittelbar für eine gute Sache, nämlich die schnelle Beendigung des Krieges einsetzen. Nun sprach er durch ein Megaphon zur deutschen Front oder in die Kessel. Dabei musste er sich immer, wegen der Glaubwürdigkeit, mit vollem Namen und Dienstbezeichnung melden: „Hier spricht Leutnant Lothar Lösche, 7.Regiment Lemberg“.
Die Megaphonsprecher lagen in vorderster Front und sahen sich meist starkem, deutschen Beschuss ausgesetzt. Er gehörte zu der sowjetischen Division, die im Januar 1945 Auschwitz befreite. Er war der einzige Deutsche der an der Befreiung beteiligt war. Im März 1945 erschien im „Freien Deutschland“ der erste deutschsprachige Artikel über Auschwitz, von ihm geschrieben „Millionen Opfer klagen an“.

Später, als die Front sich Neiße und Oder näherte, kam er zurück ins russische Hinterland nach Krasnogorsk, westlich von Moskau Die Antifa-Schule deutscher Widerstandskämpfer. Kommunisten wie Christen. Dort wurde u.a. mit Walter Ulbricht und dem Schriftsteller Erich Weinert zusammen gearbeitet, Rundfunksendungen für Radio Moskau gemacht, Artikel für das Freie Deutschland geschrieben und natürlich ideologische „Rotlichtbestrahlung“ vorgenommen. Wenn ich mich richtig erinnere, wie eine Art Schulunterricht mit marxistischer Philosophie etc.
Bereits 1946 kam er zurück nach Deutschland.

In der DDR wurde er wieder ganz normaler Gemeindepfarrer. Mehrmals versuchte das Regime der DDR meinem Vater interessante Posten anzubieten. Vor allem in den 1950er Jahren, als noch Mangel an geeignetem Personal war. Er blieb Gemeindepfarrer und Antifaschist. 1976 ging er in Rente, übersiedelte mit seiner Frau als Pensionist nach Bayern, wo er 1990 an den Spätfolgen einer Kriegsverletzung im Alter von 79 Jahren verstarb. Zeit seines Lebens hatte er Woche für Woche Alpträume vom Krieg und vor allem von den Eindrücke von Auschwitz.