Atomdeal und Geschichte

Warum es sich für Steinmeier in Hinsicht auf die iranische, die israelische und die deutsche Staatsräson eigentlich verbieten sollte, das Atomabkommen mit dem Iran ständig als “historischen Erfolg” zu bezeichnen und das Geschäftemachen mit dem Iran auch nach Aufhebung der Sanktionen unmoralisch ist.

“Dass wir 70 Jahre nach der Befreiung von Auschwitz das fünfzigjährige Bestehen unserer diplomatischen Beziehungen feiern können” festredete Steinmeier im Januar 2015 “wurde auch möglich, weil mein Land sich zu historischer Schuld ebenso wie zu aktueller Verantwortung für das Existenzrecht Israels bekannt hat und weiter bekennt”
Im Mai 2015 stellte Steinmeier hinsichtlich der Atomverhandlungen mit dem Iran klar: “Am Ende wird nur eine Vereinbarung unterschrieben, die mehr Sicherheit für Israel bedeutet – und niemals weniger!”

Die Verhandlungen über das Nukleardossier mündeten Anfang Juli 2015 in die Unterzeichnung des 159 Seiten umfassenden Joint Comprehensive Plan of Action (JCPOA). Steinmeier lobte die Unterzeichnung als historischen Tag, mit dem ein Schlussstrich unter jahrelange Verhandlungen gezogen worden sei. Später als Beitrag zum Weltfrieden. Der Bundesaußenminister und sein diplomatisches Corps ließen sich – Israels Sicherheitsbedürfnis immer im Blick – nicht vom israelischen Premierminister Netanyahu beirren, der das Abkommen als einen “historischen Fehler” bezeichnete und in seiner ersten Stellungnahme nach Unterzeichnung des Abkommens an die Weltmächte gewandt sagte: “Sie haben gepokert, dass sich das terroristische Regime des Iran in zehn Jahren ändert, allerdings ohne einen Ansporn zu geben, dass sich das lohnen könnte. Stattdessen gibt die Vereinbarung dem Iran allen Grund, sich nicht zu ändern.”
Steinmeier appellierte krass undiplomatisch an die israelische Regierung, auf „grobschlächtige Kritik“ zu verzichten.

Die Ansicht, wonach es sich bei dem Deal um einen historischen Fehler handelt, wird in Israel parteiübergreifend geteilt. 4 von 5 Israelis fühlen sich durch das Abkommen bedroht. „Nie Wieder” ist Teil der Staatsräson des jüdischen Staates.
Yair Lapid legte in einem Gastbeitrag für die Welt am 7.8.15 nüchtern dar: ”Der Iran, der den Holocaust offiziell leugnet, ist der einzige Mitgliedsstaat der Vereinten Nationen, der wiederholt öffentlich erklärt hat, die Vernichtung eines anderen Mitgliedsstaates – Israel – anzustreben. Nicht Israel zu schaden, nicht ihm Krieg zu erklären – es auszulöschen.”

Mit der islamischen Revolution kam der antisemitische Wahn von der jüdischen Allmacht in Verbindung mit dem theologisch begründetem Hass auf das Judentum. Geäußert als Hass auf den Zionismus bildet der Antisemitismus den Kern der Ideologie der Mullahs. Das Hinwirken auf die Zerstörung des “Zionistischen Gebildes” ist in das Selbstverständnis des iranischen Gottesstaats eingewoben.
Die Vernichtungsdrohungen des iranischen Regimes gegenüber dem jüdischen Staat und die offizielle Leugnung des Holocaust werden hier in Israel nicht verharmlost.

Irans oberster Führer, Ayatollah Ali Khamenei nannte Israel 2013 einen tollwütigen Hund in dieser Region. “Seine führenden Politiker sehen wie Tiere aus, man kann sie nicht menschlich nennen.“ Die Dämonisierung geht einher mit der Wahnvorstellung Israel würde Völker und Staaten und die islamische Nation im Nahen Osten zerfressen.

70 Jahre nach Auschwitz darf nicht vergessen werden, dass der antisemitische Wahn nicht bei Drohungen und Vorbereitungen zum Völkermord halt macht.
Im Iran ist das von den Nazis adoptierte antisemitische Wahnsystem mit einem ein theologisch begründeten Judenhass verschmolzen. Die Annahme, wonach die iranische Führung zur Vernunft kommt, wenn ihr auf der Weltbühne auf Augenhöhe begegnet wird, verkennt die Irrationalität des iranischen Antisemitismus.

Da es sich in den Wahnsinn, Millionen Menschen umbringen zu müssen, um die Wurzel allen Übels zu bekämpfen, nicht hineindenken lässt, wird es in Deutschland trotz historischer Präzedenz schlicht verneint.
Die Gefahr der Moderne mit der sich die erzkonservative Islamische Republik nicht vermitteln kann, findet im Antisemitismus seine Aufhebung und in Israel eine Projektionsfläche. Die Herrschenden im Iran hängen dem gleichen wahnsinnigen Paranoia wie die Nazis an, wonach die Juden für alles Unheil verantwortlich seinen. Die Zerstörung Israels ist ein Kernanliegen der islamischen Republik, sanktioniert von Ayatollah Khomeni und bestätigt von Ayatollah Khameni. Ayatollah Ali Khamenei erklärte 2001: „Das Fundament des Islamischen Regimes ist die Gegnerschaft gegen Israel und das beständige Thema des Iran ist die Eliminierung Israels in der Region.“
Im Dezember 2001 hatte der ehemalige iranische Präsident Hashemi Rafsanjani verkündet, dass „eine einzige Atombombe innerhalb Israels alles zerstören“ würde, während der Schaden eines potentiellen nuklearen Gegenschlags für die islamische Welt begrenzbar sei.

Merkels erklärte 2008 vor der Knesset, dass die Sicherheit Israels nicht verhandelbar sei. Lammert bekräftigte im Juni des Jubiläumsjahres 2015 in einer Rede vor der Knesset, dass die besondere Verantwortung für Israel Teil der deutschen „Staatsräson“ sei. Bei den Atomverhandlungen mit dem Iran lag es an Deutschland dieser viel beschworenen Verantwortung für Israels gerecht zu werden.
10 Tage vor dem Internationalen Tag des Gedenkens an die Opfer des Holocaust sei an die besondere Verantwortung Deutschlands erinnert, als Nachfolgestaat des Dritten Reichs den Wahn eliminatorisch gesinnter Antisemiten nicht zu unterschätzen. Der Holocaust muss als Mahnung stehen, die Zeichen der Zeit zu erkennen, bevor ein weiteres unbegreifliches Verbrechen geschieht. Dazu gehört dem Iran den Griff zur Atombombe zu verwehren, mit der die erträumte Vernichtung Israels möglich wäre. Direkt eingesetzt oder als Schutzschild für die Unterstützung eines Abnutzungskrieges gegen den jüdischen Staat. Nur wenige Wochen nach dem Atomdeal hat Ayatollah Ali Khamenei, ein Buch mit dem Titel Palästina veröffentlicht. Darin steht, das »Krebsgeschwür Israel« müsse zerstört, die Welt unter islamische Herrschaft gebracht und Jerusalem befreit werden.
Die Befürwortern des Deals im Westen haben dessen Gegner stets als Kriegstreiber dargestellt. Dabei lässt sich schlüssig argumentieren, dass die Wahrscheinlichkeit eines langwierigen Abnutzungskrieges gegen Israel mit dem Abkommen steigt. Der Iran hat die libanesische Hisbollah mit 80.000 Raketen hochgerüstet, und baut im syrischen Grenzgebiert zu Israel an einer weiteren Front.

„Für uns Deutsche ist die Sicherheit Israels von großer Bedeutung. Es gibt Dinge, über die wir in Respekt miteinander reden sollten“ versuchte Gabriel den Brückenschlag zwischen Schein und Sein, als er schon kurz nach der Unterzeichnung des Atomvereinbarung in Teheran für die Restaurierung der sehr engen und umfangreichen wirtschaftlichen Kontakte mit dem Iran warb. “Als Freunde”, so sagte Gabriel dem iranischen Ölminister müsse man auch über “unterschiedliche Sichtweisen” reden können.
„Wir haben im Nahen Osten eine vollkommen andere Politik als Deutschland und haben die in den letzten 35 Jahren auch mehrmals klar artikuliert“, machte der iranische Außenamtssprecherin Marsieh Afcham die unterschiedliche Sichtweise des Iran klar. Der Iran betrachte Israel als eine Bedrohung und Wurzel der Krisen in der Region, erklärte Afcham unmissverständlich.

Die Forderung Gabriels in einen Dialog über die Existenz Israels zu treten ist nicht nur eine rhetorische, sondern eine inhaltliche Abkehr von der Prämisse, Israels Sicherheit sei nicht verhandelbar. Wäre Israels Sicherheit Teil der deutschen Staatsräson, wie so vielfach im Jubiläumsjahr 2015 hinausposaunt wurde, würde die Forderung nicht lauten, in einen Dialog zu treten, sondern schlichtweg Israel anzuerkennen. Wer es mit dem Imperativ “Nie wieder” ernst meint, muss die Restaurierung der wirtschaftlichen Beziehungen zum Iran von dessen Haltung zu Israel abhängig machen.

Würde man die Vertreter des Gottesstaates ernst nehmen, würde klar, dass in ihren Augen der Holocaust mehr oder minder eine Erfindung und damit ein delegitimierter Vorwand für einen jüdischen Staat sei. Im Weltverständnis der Mullas sind die Juden Dämonen, muss Israel vernichtet werden und ist der Holocaust eine Lüge. Würde der Holocaust vom iranischen Regime als historische Wahrheit anerkannt werden, würde die Wahnvorstellung von der mächtigen jüdischen Weltverschwörung zusammenbrechen.

Nach der Verkündung der Rahmenvereinbarung am 2. April 2015 zwischen dem iranischen Regime und den 5+1 Ländern in Lausanne, erklärte der Kommandeur der iranischen Basij-Miliz Mohammad Reza Naqdi, dass “die Zerstörung Israels nicht verhandelbar ist.” und gab weiter an, das der Iran Hezbollah und Palästinenser für ihren Kampf gegen Israel bewaffne. Hassan Nasrallah zu dem Thema: „Ein reicher und starker Iran wird jetzt stärker denn je in der Vergangenheit in der Lage sein, an der Seite seiner Verbündetem und Freunde in der Region zu stehen.“
Der dem Westen als „gemäßigt“ geltende Vorsitzender des einflussreichen Schlichtungsrates, Expräsident Ali Akbar Rafsanjani, hat im Juli 2015 die “Auslöschung” und den “absoluten Niedergang” Israels gefordert.
Während die Atomverhandlungen in Wien Anfang Juli 2015 zu einem Ende gebracht wurden (“Schlussstrich”, Steinmeier), beschloss der dem Westen als „gemäßigt“ geltende Präsident Rouhani, am jährlichen Al Quds Tag in Teheran teilzunehmen, auf der eine frenetische Menschenmenge amerikanische und israelische Flaggen verbrannte und dabei „Tod Amerika, Tod Israel!“ rief.

Als der britische Außenminister Philip Hammond im August 2015 von der Wiedereröffnung der britischen Botschaft in Teheran zurückkehrte, erklärte er, dass der Iran einen „nuancierteren Ansatz“ gegenüber dem jüdischen Staat entwickeln wolle.
Eine Sprecherin des Regimes wies umgehend die Behauptung zurück, es habe Gespräche über Israel gegeben und der außenpolitische Berater des iranischen Parlamentspräsidenten Ali Larijani (selbst bekannt für seine Holocaust-Leugnung) versicherte in iranischen Staatsmedien, dass die Vernichtung Israels weiterhin das Ziel des Iran sei.
„Unsere Position zu dem unrechtmäßigen zionistischen Regime hat sich überhaupt nicht geändert; Israel muss vernichtet werden und das ist unser letztes Wort.“
Und um alle Missverständnisse auszuräumen, verkündete der oberste iranische Führer Khameni noch mal ganz grundsätzlich am 9. September über seinen twitter Account, dass Israel (das “zionistische Regime”) keine 25 Jahre mehr überleben wird.

Deutschland, dessen Existenzrecht nach Auschwitz nur mit der besonderen Verantwortung für den jüdischen Staat gedacht werden kann, darf die Augen nicht davor verschließen, dass die Ideologie, die der Vernichtung von sechs Millionen Juden zu Grunde lag, von einem Regime geteilt wird, das mit der heutigen Aufhebung der Sanktionen zur Hegemonialmacht im Nahen Osten gemacht werden soll.

Text: Oliver Vrankovic