Werteordnung

In Houellebecqes Zukunftsvision “Unterwerfung” läuft der Humanismus auf Grund und mit ihm die politische Ordnung. Statt Konservativen und Sozialisten streiten die identitäre Bewegung und Islamisten als sich gegenseitig Auftrieb gebende Kräfte um die Macht. Das Buch muss jedem, der es gelesen hat, in Erinnerung kommen, wenn er sich die nächsten Wochen auszumalen versucht. Nicht weil eine Machtübernahme der Islamisten unmittelbar anstehen würde. Aber wegen der Wechselwirkung zwischen Rechtspopulisten und Islamisten und der selbstzerstörerischen Orientierungslosigkeit der demokratischen Mehrheitsgesellschaft.

Da ist einerseits die hirnrissig pauschale Gleichsetzung des Islam mit dem Islamischen Staat. Andererseits die nicht weniger hirnrissige Vorstellung, der Islam habe mit dem Islamischen Staat nichts zu tun.

Fuer die meisten Menschen muslimischen Glaubens ist der Islam ein wohl dosierter Teil ihrer Identität. In Einklang oder auch im Widerspruch zu anderen Teilen ihrer Identität, nach denen ihr soziales Leben ausgerichtet ist. Ich weiss das frühestens seit meiner Zeit im Kanakenclub 1848 Esslingen und spätestens seit ich das letzte Mal mit unserem beduinischen Pfleger in der Anna Loulou Bar abgestürzt bin.
Islamisten dagegen mit ihrer einseitig angelegten Identität finden ihren Platz nur in Gottesstaaten oder Kalifaten. Wie beim Alkohol macht auch beim Islam die Menge das Gift.  Von den einzelnen Muslimen zu verlangen, sie sollten sich vom Terror distanzieren, behauptet zunächst einmal eine Verbindung, die in den allermeisten Fällen gar nicht da ist. Das ist Nötigung. Meine muslimischen Freunde haben mit Terror so viel am Hut wie ich und du. Der Islam ist Teil ihrer Identität ohne sie im Griff zu haben.

Bei der ganzen Radikalisierungsdebatte sollte es weniger um die richtige oder falsche Auslegung des Islam gehen, als vielmehr um den Stellenwert der ihm zugestanden wird. Wozu diese ausufernde Debatte darüber, was im Koran steht und wie er zu verstehen ist? Als ob es irgendeinen Islamisten juckt zu erfahren, was wir Ungläubige über die ihm heilige Schrift denken. Wenn diese Koranerörterung irgendwo hinführen würde, hätte auch der Stalinismus mit Karl Marx-Lesezirkeln erschüttert werden können.

Jeder soll glauben was er will. Es muss derweil gelingen, die Ausgabestellen des Islam darauf zu verpflichten, die Geltung westlicher Grundwerte für das Zusammenleben zu akzeptieren.
Was natürlich wiederum nur dann eine Forderung sein darf, wenn die Gesellschaft selbst für diese Grundwerte einsteht. Wer beispielsweise die Achtung des Grundgesetzes fordert und sich sogar die Mühe macht dieses ins Arabische übersetzen zu lassen, muss dieses selbst beispielhaft achten. Auch Art 16a (1): Politisch Verfolgte genießen Asylrecht.
Das überzeugende Einstehen für westlicher Grundwerte und Menschenrechte zwingt des Weiteren zur Solidarität mit jenen, die im Herzen der islamischen Welt für die Erlangung dieser Grundwerte, allen voran die Freiheit, auf die Straße gehen.

2009 gingen mutige Iraner gegen die Tyrannei auf die Straße und der Westen wendete sich ab. 2011 gingen Syrer gegen die Despotie auf die Straße und der Westen wendete sich ab. Und was nur äußerst unzureichend berichtet wird: Auch dieser Tage gehen Menschen im Mittleren Osten mit der Forderung nach Säkularisierung auf die Straße. Der Westen MUSS diejenigen unterstützen, die für sich jene Grundwerte wie Rechtsstaatlichkeit und Freiheit und Pluralismus und sexuelle Selbstbestimmung einfordern, die wir für uns selbst als unveräußerlich erachten. Sonst ist alles was da gerade proklamiert wird Kokolores.

Die Linken müssen ihr Dilemma, dass darin besteht eine Gesellschaft verteidigen zu müssen, für die sie sich nie wirklich erwärmen konnten, einseitig auflösen. Wer im linken Milieu mit “Deutschland abschaffen” und “no border, no nation” sozialisiert wurde, muss sich heute gegen Islamisten stellen, die Grenzen und Nationen tatsächlich wegblasen. Diejenigen, denen der Westen immer suspekt war, müssen heute für diesen einstehen. Für die Freiheit und den Rechtsstaat, die immer ein Stück weit als falsche Behauptung angesehen wurden.
Sie müssen an der Seite der Amerikaner stehen und an der Seite der Israelis. Sie müssen statt derer die Islamisten als Faschisten begreifen. Und sie müssen zur Einsicht gelangen, das keine Gewalt keine Lösung ist.
Schwierig v.a. für diejenigen, die mit den Islamisten deren Antiamerikanismus oder gar deren antisemitischen Wahn von der jüdischen Verschwörung teilen.

Was dies konkret-praktisch mit dem IS und Paris zu tun hat? Viel! Anfang 2011 wurden in Syrien zunächst friedliche Demonstranten, die im Geist des arabischen Frühlings auf die Straße gingen über den Haufen geschossen. Darauf versuchte die Opposition, bestehend aus einer Vielzahl von Gruppen, aber in erster Linie die Freie Syrische Armee, das despotische Assad-Regime zu stürzen und durch eine Form demokratischer Regierung zu ersetzen.
Hätte irgendeine westliche Regierung in diesem frühen Stadium interveniert hätte Assad besiegt werden und durch eine demokratisch gewählte Regierung ersetzt werden können. Aber selbst als zehntausende Tote später, im August 2013, Assad chemischen Waffen gegen seine Gegner einsetzte und damit die einzige vom Westen überhaupt gezogene rote Linie übertrat, blieb dieser völlig gleichgültig. Aus Angst vor einer Konfrontation mit Russland und aus Sorge die Annäherung an den Iran zu gefährden.
Inzwischen sind eine Viertel Million Menschen tot!!!
Ausgehungert durch die Blockade ganzer Stadtviertel, den Fassbomben der ungehindert fliegenden Luftwaffe erlegen, in Folterkellern umgekommen. Die Hizbollah wütet auf der Seite Assads. Der Iran rekrutiert quer durch die Region Kanonenfutter für Assad. Auf der anderen Seite sind dem Nährboden der entfesselten Gewalt finstere Aufständische entsprungen. Dass Al Kaida nahe Gruppen heute die syrischen Aufständischen führen ist der ungehinderten Eskalation zu verdanken, die der Westen hätte verhindern können. Nicht zuletzt entstand im Zuge des ungehaltenen Mordens ein islamischer Staat im Staat, errichtet von den finstersten Mächten unserer Zeit, dem IS. Womit wir in Paris sind.

Die Schriftstellerin Samar Yazbek brachte es in einem Interview mit der Zeit im Oktober 2014 auf den Punkt: “Der IS ist die Ausgeburt der Verbrechen, die das Assad-Regime in Syrien begangen hat, und die Folge des Schweigens, mit dem die ganze Welt diesen Verbrechen zugesehen hat. Die gemäßigten Fraktionen der Rebellen wurden marginalisiert und von Assad bekämpft, wovon der IS profitiert hat.” Und weiter: “Das Assad-Regime und der IS sind zwei Seiten ein und derselben Medaille. Der Extremismus des IS speist sich aus den drei Jahren der extremen Gewalt durch das Assad-Regime. Und um den IS loszuwerden, müssen wir auch Assad loswerden, der eine kann nicht ohne den anderen überwunden werden.
Allerdings war das ja genau die Strategie Assads von Anfang an, sich als das geringere Übel darzustellen.”

Für die Freiheit einstehen bedeutet islamistische Terrorgruppen dort zu bekämpfen, wo sie gedeihen und mit ihnen die die Schreckensherrschaften im Nahen Osten, die ihr Nährboden sind. Weil gerade so viele historische Vergleiche angestellt werden ein Zitat von W. Churchill: “You were given the choice between war and dishonor. You chose dishonor and you will have war”

Der Kriegserklärung des Islamismus an die freie Welt Anfang des Jahrtausends folgten eine Vielzahl terroristischer Kriegsakte verschiedener Größenordnungen, die vornehmlich mit Realitätsverneinung quittiert wurden.
Derzeit wird diese mit Eiffeltürmchen als fb Profilbild illustriert. Der Krieg ist nicht durch einseitige Verweigerung zu beenden. Es wäre an der Zeit statt dem ewigen Beharren auf dem Fehler des Irak Krieges den Fehler des vorzeitigen Rückzuges aus dem Irak zu thematisieren. Gleiches in Hinblick auf Afghanistan. In Syrien müssen Stiefel auf den Boden. Die Vorstellung beim epischen Blutvergießen im Nahen Osten weitgehend unbeteiligt wegschauen zu können ist moralisch verwerflich und falsch. Steinmeier und Gabriel sind unerträglich.

Die Vorstellung die Islamistenszenen in Europa besänftigen zu können ist ebenfalls verwerflich und falsch. Selbst die Gängelung Israels verschonte Frankreich nicht vom islamistischen Terror. Den Dschihadisten von IS, Al Kaida, Hamas, Hizbollah,… geht es nicht um ein Ende des israelischen Siedlungsbaus. Auch nicht allein um ein Ende Israels. Es geht um die Unterwerfung aller Ungläubigen und Andersgläubigen. Angefangen von glaubens”abtrünnigen” Muslimen. Der Antisemitismus, der in die islamistische DNA geschrieben ist, macht die Juden zur nächsten Zielscheibe. Und auf die Juden folgen dann die Kreuzfahrer. Unbesehen ihrer Haltung gegenüber den Juden. Viele Israelis wünschen sich dieser Tage, dass die Welt das Wesen des Terrors endlich anfängt zu begreifen. “Ihr liebt das Leben, und wir lieben den Tod” verlautbarte Al Kaida nachdem in Madrid bei einer Anschlagserie 200 Menschen umkamen. Denen ist nicht mit Debatten im Feuilleton und nicht mit Sozialarbeitern beizukommen.

hlg

Text: Oliver Vrankovic